Stabile Gashydrate lösen Hangrutschung aus
„Zement der Kontinentalhänge“ hat andere Wirkung als bisher gedacht
Mitte der 1990er Jahre konnten unter anderem deutsche Forscher nachweisen, dass in den Kontinentalhängen am Rand aller Ozeane große Mengen an Gashydraten eingeschlossen sind. Diese festen, eisartigen Verbindungen aus Wasser und Gasen galten seitdem als eine Art Zement, der die Hänge unter Wasser festigt. Doch die Gashydrate sind nur bei hohem Druck und niedrigen Temperaturen stabil. Deshalb gibt es Überlegungen, ob steigende Wassertemperaturen die Hydrate auflösen und dabei auch Hangrutschungen und in deren Folge Tsunamis auslösen könnten. Dass viele fossile Rutschungen im Bereich von Gashydratlagerstätten liegen, nährt diese Vermutung.
Jetzt haben Forschende des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zusammen mit Kollegen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung Belege dafür gefunden, dass Gashydrate und Hangrutschungen tatsächlich ursächlich zusammenhängen können – aber ganz anders als bisher vermutet. „Unsere Daten zeigen, dass ausgerechnet stabile Gashydrate indirekt das Sediment über ihnen destabilisieren können“, sagt Dr. Judith Elger vom GEOMAR. Sie ist Erstautorin der Studie, die heute in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications erscheint.
Den Anstoß für die Untersuchung gab eine Ungereimtheit bei bisherigen Theorien, die schmelzende Gashydrate als Ursache von Hangrutschungen sehen. Denn die Wassertiefen stimmten nicht. „Wenn steigende Wassertemperaturen oder fallende Meeresspiegel Gashydrate destabilisieren, dann zuerst im oberen Bereich des Kontinentalhangs. Die Rutschungen, deren Spuren wir kennen, wurden aber alle tiefer ausgelöst“, erklärt Dr. Elger.
Um diesem Widerspruch aufzulösen, hat sich die Geophysikerin seismische Daten aus dem Gebiet der Hinlopen-Rutschung angesehen. Diese ereignete sich vor etwa 30.000 Jahren nördlich von Spitzbergens in 750 bis 2.200 Metern Wassertiefe. Mit diesen Daten hat das Team anschließend die Vorgänge im Meeresboden in einem Computermodell nachvollzogen.
Dabei kam heraus, dass die Gashydrate eine feste, undurchlässige Schicht im Meeresboden bilden können. Darunter sammeln sich freies Gas und Flüssigkeiten. Es entsteht ein Überdruck unterhalb der Hydratschicht, bis diese nicht mehr standhält. Freies Gas und Flüssigkeiten steigen in den durch den Überdruck verursachten Rissen, die heute noch im Untergrund nachweisbar sind, schnell Richtung Meeresboden auf. Dort treffen sie auf ohnehin weniger stabiles Sediment und setzen es in Bewegung.
„Wir konnten zeigen, dass dieser Prozess im Fall der Hinlopen-Rutschung eine realistische Alternative zu anderen vermuteten Prozessen ist, völlig unabhängig von klimatischen Veränderungen. Es fehlen aber noch wichtige Informationen über das Verhalten von Sedimenten mit Gashydraten, um unsere Modelle zu verbessern“, sagt Dr. Elger.
Die Studie zeigt aber auf jeden Fall Zusammenhänge, die bisher bei der Suche nach Ursachen von Hangrutschungen nicht berücksichtigt wurden. „Weitere Studien, die seismische Daten und geotechnische Laborversuche kombinieren, müssen jetzt zeigen, ob auch an anderen historischen Rutschungen ähnliche Rissstrukturen im Meeresboden nachgewiesen werden können und ob es sich damit um ein verbreitetes Phänomen handelt“, so die Forscherin.
Originalarbeit
Elger, J., C. Berndt, L. Rüpke, S. Krastel, F. Gross, W. H. Geissler (2018): Submarine slope failure due to pipe structure formation. Nature Communications, http://dx.doi.org/10.1038/s41467-018-03176-1
Hinweis:
Die Studie wurde unter anderem von der Helmholtz Research School for Ocean System Science and Technology (HOSST) unterstützt.
Bildmaterial in höherer Auflösung:
Struktur von Gashaydraten. Grafik: J. Greinert / GEOMAR
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