Blaues Siegel für Fischprodukte aus überfischten Beständen kratzt an Glaubwürdigkeit des MSC
Neue interdisziplinäre Studie zeigt Grenzen MSC-zertifizierter Fischbestände im Nordostatlantik auf
Pressemitteilung des Exzellenzclusters "Ozean der Zukunft"
Der Marine Stewardship Council (MSC) ist eine internationale, unabhängige und gemeinnützige Organisation, die Fische und Meeresfrüchte aus nachhaltiger Fischerei zertifiziert. Das blaue Siegel genießt bei Verbraucherinnen und Verbrauchern weltweit großes Vertrauen. Im Rahmen der neuen Studie wurden 31 nordeuropäische Fischbestände im Nordostatlantik, die durch zertifizierte nachhaltige Fischerei nach den Richtlinien des MSC befischt werden, hinsichtlich ihrer Bestandsgröße und Befischung untersucht. „Wir haben uns dabei an den offiziellen Bestandsabschätzungen orientiert, die auch die Grundlage für die MSC-Zertifizierung bilden“, sagt Dr. Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.
Die Studie zeigt, dass im ersten Jahr der MSC-Zertifizierung elf Fischbestände über der vom MSC festgelegten Obergrenze befischt wurden. Vier Bestände befanden sich aufgrund ihrer geringen Größe sogar außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Dennoch dürfen Fischprodukte aus diesen Beständen weiterhin das blaue MSC-Siegel tragen. Der MSC begründet dies damit, dass sich die Bestände nach Aufnahme in das MSC-Programm erholen würden. Die Untersuchungen der Kieler Forscherinnen und Forscher zeigen jedoch keine Erholung der Bestände: Auch nach längerer Zertifizierungsdauer zwischen einem und zehn Jahren (durchschnittlich vier Jahre) konnten keine signifikanten Veränderungen hinsichtlich des Fischereidruckes und der Größe der Bestände festgestellt werden. Im letzten Zertifizierungsjahr mit verfügbaren Daten waren sieben Bestände (44 Prozent der Bestände mit verfügbaren Daten) überfischt, fünf Bestände befanden sich außerhalb sicherer biologischer Grenzen. Auf der anderen Seite lag bei elf Beständen die erlaubte Fangmenge weit über den tatsächlichen Fängen – ein Zeichen, dass die festgelegten Fangmengen nicht den realen Fangmöglichkeiten entsprechen. Die MSC-Zertifizierung soll aber eine nachhaltige Fischerei garantieren, in der unter anderem Fangquoten richtig gesetzt und eingehalten werden.
„Unsere Studie hat somit gezeigt, dass die Regulierung die Fischerei nicht effektiv beschränkt hat. Darüber hinaus wurde bei drei Beständen der erlaubte Fang um bis zu 50 Prozent überschritten“, sagt Professor Martin Quaas vom Institut für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität und Leiter der Arbeitsgruppe Nachhaltige Fischerei im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“. Offenbar, so das Fazit der Autorinnen und Autoren, gab es keine effektive Kontrolle der Fänge, was mit dem Anspruch einer vorbildlichen Fischerei nur schwer vereinbar ist.
Bisher mangelt es sowohl auf internationaler als auch auf europäischer Ebene an rechtlich durchsetzbaren Vorschriften für Produkte aus nachhaltiger Fischerei. Die Umsetzung der von der Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) definierten Standards ist für Unternehmen bisher freiwillig. „Jedes Unternehmen kann demnach den Begriff nachhaltige Fischerei frei verwenden. Kontrollierte Standards für Umweltlabels gibt es in diesem Bereich nicht“, sagt Professorin Nele Matz-Lück vom Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der CAU. „Ökosiegel für überfischte Bestände mögen streng genommen 'legal' sein, vertretbar sind sie nicht", so Matz-Lück weiter.
Die Autorinnen und Autoren der Studie empfehlen daher, die Richtlinien des MSC dahingehend zu ändern, dass Überfischung und unsichere Bestandsgrößen zur sofortigen Aussetzung der Zertifizierung führen. „Beim Kauf sind Fischprodukte mit MSC-Siegel zwar Produkten ohne Siegel vorzuziehen, doch um das entgegengebrachte Vertrauen der Verbraucher weiterhin zu erhalten, muss der MSC an seiner Glaubwürdigkeit arbeiten,“ resümiert Erstautorin Dr. Silvia Opitz vom GEOMAR.
Ergänzende Stellungnahme vom 25.05.2016:
Inzwischen sind erste Reaktionen des MSC bekannt geworden. Dabei wird behauptet, dass in der Studie eigene und ungeeignete Richtwerte für die Beurteilung der Überfischung und der zu kleinen Bestandsgröße benutzt wurden. Das ist nicht richtig. Die entsprechenden offiziellen Dokumente des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) sind allgemein verfügbar und sowohl Überfischung, wie beispielsweise „fishing pressure“ für die Makrele http://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2015/2015/mac-nea.pdf, als auch zu kleine Bestandsgröße, wie beispielsweise "stock size" beim Hering aus Norwegen http://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2015/2015/her-noss.pdf sind darin deutlich ausgewiesen und mit rot als mangelhaft gekennzeichnet. "Auf die entscheidende Frage bleibt der MSC bisher eine Antwort schuldig: Warum werden Fischprodukte aus Beständen zertifiziert, die laut aktueller offizieller Bestandsabschätzung über dem maximal nachhaltigen Wert befischt werden oder sich außerhalb sicherer biologischer Grenzen befinden?", sagt Ko-Autor Dr. Rainer Froese vom GEOMAR.
Originalpublikation:
Silvia Opitz, Julia Hoffmann, Martin Quaas, Nele Matz-Lück, Crispina Binohlan, Rainer Froese, Assessment of MSC-certified fish stocks in the Northeast Atlantic. Marine Policy 71 (2016), 10-14. http://dx.doi.org/10.1016/j.marpol.2016.05.003
Kontakt
Dr. Silvia Opitz, GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Telefon 0431-600-4522, sopitz(at)geomar.de
Friederike Balzereit, Öffentlichkeitsarbeit Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“, Telefon: 0431-880-3032, fbalzereit(at)uv.uni-kiel.de