Zwei Tage alte Miesmuschellarven unter dem Polarisationsmikroskop. Foto: F. Melzner, GEOMAR.
Zwei Tage alte Miesmuschellarven, die zwischen 24 und 26 Stunden nach Befruchtung in Meerwasser mit dem Fluoreszenzfarbstoff Calcein (grün) exponiert worden sind. Foto: F. Melzner, GEOMAR.

Ozeanversauerung schädigt Miesmuscheln im Frühstadium

Kieler Meeresforscher weisen Einfluss in Muschellarven nach

22.11.2017/Kiel. Muscheln schützen sich gegen Umwelteinflüsse und Feinde durch eine harte Kalkschale. Die zunehmende Versauerung macht es den Organismen immer schwerer, ihre Schalen zu bilden. Eine Gruppe von Forschenden der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zeigt in einer Studie, die heute in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wird, dass Miesmuschellarven sensibel auf Ozeanversauerung reagieren, was reduzierte Kalzifizierungsraten und Schalenauflösung zur Folge hat.

Gemeinsame Pressemitteilung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“

Miesmuscheln sind in Norddeutschland beliebte Meeresfrüchte. Die braun-schwarzen Muscheln kommen in Gezeitenbereichen der Meere vor. Doch wie viele Lebewesen in den Ozeanen, die sich mit einer Kalkschale vor Feinden schützen, sind die Muscheln unter anderem durch die zunehmende Versauerung des Meerwassers gefährdet. Ursache hierfür ist die Aufnahme von zusätzlichem Kohlendioxid aus der Atmosphäre, das im Meerwasser gelöst wird. Die Miesmuschel zeigt sich bereits in frühen Lebensstadien als sehr empfindlich gegenüber einem Rückgang des pH-Wertes. Ein wichtiger Grund hierfür sind die enormen Kalzifizierungsraten im Larvenstadium: zwischen dem ersten und zweiten Lebenstag bilden sie Kalkschalen, die dem Gewicht des restlichen Körpers entsprechen. Dies zeigt eine Studie von Forschenden aus Kiel, die in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht wurde.

„Für unsere Untersuchungen haben wir erstmalig zwei Methoden benutzt, um die Kalzifizierung von ein bis zwei Tage alten Muschellarven zu verstehen und deren Sensitivität gegenüber dem Klimawandel abzuschätzen“, erläutert Kirti Ramesh, Erstautorin der Studie und Doktorandin in der Arbeitsgruppe Ökophysiologie am GEOMAR und der Integrated School of Ocean Sciences (ISOS) des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“. „Mit Hilfe von Fluoreszenzfarbstoffen und einer speziellen Mikroskopiermethode konnten wir die Ablagerung von Kalziumkarbonat an lebenden Larven nachvollziehen und zeigen, dass Kalziumkarbonat nicht, wie bisher vermutet, intrazellulär gebildet wird. Wahrscheinlicher ist, dass Kalzium direkt aus dem Meerwasser aufgenommen wird und über spezielle Proteine zur Schale transportiert wird. In direkter Umgebung zur Schale findet dann die Bildung von Karbonat statt“, erläutert die Wissenschaftlerin.

Im zweiten Schritt studierte das Team die abiotischen Bedingungen direkt unter der Muschelschale.  Dabei wurde mit winzigen, selbst aus Glas hergestellten Mikroelektroden Kalzium, pH und Karbonat in den nur zehntel - Millimeter kleinen Larven gemessen. „Wir konnten zum ersten Mal zeigen, dass die Muschellarven in der Lage sind, den pH-Wert und die Karbonatkonzentration unter der Schale zu erhöhen, was dann zu höheren Kalzifizierungsraten führt“, erläutert Dr. Frank Melzner, Leiter der Arbeitsgruppe Ökophysiologie am GEOMAR. „Bei zunehmender Versauerung sinken aber auch die pH-Werte unter der Schale ab, was zu reduzierten Kalzifizierungsraten und, bei sehr hohen CO2 Konzentrationen, zu Schalenanlösung und erhöhter Mortalität führt“, so Melzner weiter. Interessant ist jedoch, dass sich die Schalen erst bei sehr niedrigen pH-Werten auflösen. Dies deutet darauf hin, dass organische Bestandteile der Muschelschale zur Säureresistenz beitragen.

„Mit diesen Ergebnissen können wir eine direkte Beziehung zwischen Kalzifizierungsrate der Muscheln und der Karbonatchemie des Meerwassers herstellen“, erläutert Prof. Dr. Markus Bleich, Leiter des Physiologischen Institutes an der Universität Kiel. Grund für die hohe Sensitivität von Muschellarven gegenüber der Versauerung seien die limitierten Ionenregulationssysteme der Muschellarven, so Bleich weiter.

Wie geht es weiter? „Wir schauen uns mit genetischen und proteomischen Methoden an, welche Proteine beim Transport von Kalzium und Karbonat eine Rolle spielen und welche organischen Bestandteile der Schale die Säureresistenz erhöhen. Befunde aus unserem Labor zeigen, dass manche Miesmuschelpopulationen, insbesondere aus der Ostsee, toleranter gegenüber Ozeanversauerung sind. „Wir vermuten, dass der Schlüssel zu erhöhter Säurebeständigkeit von Muschelschalen in der Variation der organischen Schalenbestandteile liegt“, so Melzner. Solche toleranten Populationen könnten dann die Gewinner des Klimawandels sein.

Originalarbeit:

Ramesh, K., M. Y. Hu, J. Thomsen, M. Bleich and F. Melzner, 2017: Mussel larvae modify calcifying fluid carbonate chemistry to promote calcification. Nature Communications DOI: 10.1038/s41467-017-01806-8

Hinweis:

Die Studie ist Teil des EU FP7 Marie Curie ITN Projektes CACHE (cache-itn.eu) und wurde durch den Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ und das GEOMAR seed-funding Programm unterstützt. Das Physiologische Institut der CAU ist Teil von Kiel Marine Science (KMS; kms.uni-kiel.de). Die Autoren danken ferner dem Kiel Marine Organism Culture Centre (KIMOCC) für Unterstützung.

Kontakt:

Dr. Andreas Villwock (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel.: 0431 600-2802, presse(at)geomar.de

Zwei Tage alte Miesmuschellarven unter dem Polarisationsmikroskop. Foto: F. Melzner, GEOMAR.
Zwei Tage alte Miesmuschellarven unter dem Polarisationsmikroskop. Foto: F. Melzner, GEOMAR.
Zwei Tage alte Miesmuschellarven, die zwischen 24 und 26 Stunden nach Befruchtung in Meerwasser mit dem Fluoreszenzfarbstoff Calcein (grün) exponiert worden sind. Foto: F. Melzner, GEOMAR.
Zwei Tage alte Miesmuschellarven, die zwischen 24 und 26 Stunden nach Befruchtung in Meerwasser mit dem Fluoreszenzfarbstoff Calcein (grün) exponiert worden sind. Foto: F. Melzner, GEOMAR.