Marine Ökosysteme und biogeochemische Kreisläufe

Die Herausforderung

Der Ozean umfasst einige der letzten unberührten Ökosysteme der Erde, doch der Mensch stört zunehmend auch abgelegene Lebensgemeinschaften in den Polarregionen und in der Tiefsee. Der globale Klimawandel sowie die direkte Ausbeutung von Ressourcen, die Zerstörung von Lebensräumen und die Verschmutzung bedrohen die biologische Vielfalt der Meere und deren grundlegende Lebensleistungen. Als Folge davon sind wichtige Ökosystemprozesse wie Primärproduktion, der trophische Transfer - die Weitergabe von Nahrung und Energie über die Nahrungsketten - sowie die biologische Kohlenstoffpumpe in Gefahr, durch menschliche Aktivitäten dauerhaft und negativ beeinflusst zu werden.

Dies ist eine kritische Entwicklung, da die Ökosysteme des Ozeans viele Leistungen für uns Menschen erbringen, darunter die Bereitstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, die Aufnahme von atmosphärischem Kohlendioxid und der Schutz der Küsten vor Stürmen und Überflutungen. Deshalb ist ein umfassendes Verständnis der wichtigsten Prozesse des Ozeans auf der Ebene der direkten und indirekten Wechselwirkungen und deren möglichen zukünftigen Entwicklungen erforderlich. Dies ist entscheidend für die Identifizierung potenzieller Kipp-Punkte, damit wir gemeinsam Interventionen optimieren können, die die fortschreitende Verschlechterung von Ökosystemprozessen abmildern.
 
Ein solides Verständnis grundlegender biologischer Prozesse, einschließlich der Gen-, Zell- und Organismen-Ebene, wird helfen, die zugrundeliegenden Mechanismen für Reaktionen auf Gemeinschafts- und Ökosystem-Ebene zu entschlüsseln. Eine große Herausforderung ist die Integration solcher vernetzter Ebenen der biologischen Organisation über räumliche und zeitliche Skalen hinweg. Wir wissen sehr wenig über die unterschiedlichen marinen Krankheitserreger von Viren und Prokaryoten bis hin zu Parasiten. Infolgedessen bleiben Prozesse, welche Gesundheit und Krankheit der vielfältigen Lebensformen in den Ozeanen steuern, größtenteils schwer zu erfassen.

Eine weitere große Wissenslücke betrifft die Verbindungen zwischen makroskopischem und mikrobiellem Leben, eine Beziehung, die für Ökosysteme essentiell ist, um ihre Funktionen und Produktivität zu gewährleisten und den Planeten Erde bewohnbar zu halten. Die neue Erkenntnis, dass alle freilebenden Arten komplexe Mikrobiome mit weitgehend unbekannten Funktionen beherbergen, trägt zu dieser Komplexität bei. Es ist zu erwarten, dass Veränderungen in diesen Mikrobiomen, zusammen mit deren evolutionären Anpassungen, die durch beschleunigte Veränderungen erzwungen werden, die Reaktionen von Schlüsselarten verändern werden. Letztlich wirken sich diese Veränderungen auf die Resilienz ganzer Meeresökosysteme und globaler biogeochemischer Kreisläufe aus. Grundlegende Kenntnisse über die Resilienz von Arten und Ökosystemen sowie deren Erhalt und Verbesserung sind von zentraler Bedeutung für die Bemühungen um ozeanbasierte Lösungen und den Erhalt der marinen Biodiversität.

 

Unser Ziel

Unser zentrales Ziel ist es, biologische Prozesse wie Anpassung und Reorganisation von Lebensgemeinschaften in ein biogeochemisches Gesamtmodell zu integrieren und die Modellierung biogeochemischer Kreisläufe zu verbessern. Prozesse, die mit der Gesundheit und Krankheit von Meereslebewesen zusammenhängen, können zunehmend durch marine Extremereignisse ausgelöst werden. Deshalb berücksichtigen wir in unseren Modellen entsprechende Risiken in Zusammenarbeit mit Ozeanographen und Meteorologen. Wir werden Anpassungsprozesse auf der Gen- und Populationsebene sollen auf verschiedene Ebenen hochskalieren, um evolutionäre Modulation von Wechselwirkungen auf der Ebene ganzer Ökosysteme zu untersuchen. Darüber hinaus machen wir uns die methodischen Revolutionen in den Biowissenschaften durch den Einsatz von Omics, Systembiologie und Gen-Editing-Tools zunutze. Außerdem werden wir die Auswirkungen eines sich verändernden Ozeans auf biogeochemische Zyklen und Prozesse entschlüsseln. Dazu gehören wichtige Aspekte wie die Versorgung der Menschheit mit Nahrungsmitteln und faktengestützte Ansätze zur aktiven Erhaltung und Wiederherstellung von Meereslebensräumen in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern und Interessengruppen. Unsere laufende Forschung zu einem gesunden Ozean bildet die wissenschaftliche Grundlage für das Ziel für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen 14 „Leben unter Wasser“ und trägt zu Ziel 2 „Kein Hunger“, Ziel 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“ und Dekade der Ozeanforschung für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen bei.

 

Unsere Expertise

Da das GEOMAR den Ozean in allen naturwissenschaftlichen Bereichen erforscht, sind wir in einer idealen Position, um empirische Prozessstudien in Modelle zur Vorhersage zukünftiger physikalischer Prozesse und biogeochemischer Kreisläufe zu integrieren. Wir sind weiterhin in der Lage, auf dieser Ebene der interdisziplinären Integration die Führung in der Wissenschaft zu übernehmen, da wir über die nötige Kompetenz und das globale Engagement verfügen und eine Vision haben, die auch andere gesellschaftliche Bereiche berücksichtigt.

Unser Ziel ist es, bereits bestehende Verbindungen mit anderen weltweit führenden Institutionen zu stärken und neue Kooperationen zu fördern. Auf diese Weise können wir ein umfassendes Verständnis der physikalischen, biologischen und biogeochemischen Prozesse im Ozean entwickeln. GEOMAR-Wissenschaftler*innen haben langjährige Erfahrung darin, die komplexen Organisationsebenen in der Biologie, von den Genen bis zu den Ökosystemen, mit modernsten Ansätzen zu untersuchen.

Um den zukünftigen Ozean mit seinen sich ändernden Umweltbedingungen zu simulieren, hat das GEOMAR unterschiedlichste experimentelle Infrastruktur entwickelt, etwa große pelagische und benthische Freilandanlagen, welche die Manipulation ganzer Lebensgemeinschaften ermöglichen. Diese werden ergänzt durch kontrollierte Experimente mit Arten und Populationen in Klimakammern, sowie durch Möglichkeiten, Wechselwirkungen zwischen einzelnen Mikroben, ihren Viren und anderen Zellen zu untersuchen.

Unsere experimentelle Arbeit ist mit Schiffs-Expeditionen abgestimmt, die neue Arten, Interaktionen zwischen Arten (makroskopisch, mikrobiell und chemisch) sowie biogeochemische Prozesse beschreiben. Darüber hinaus liefern langfristige Datenreihen entscheidende Einblicke in zeitliche Veränderungen, die sonst nicht erfasst werden können. Dies bietet die Möglichkeit, die natürlichen und menschengemachten Treiber zu identifizieren, die Veränderungen in biologischen Gemeinschaften und biogeochemischen Kreisläufen zugrunde liegen, sowie die Reaktionen auf Extremereignisse zu erforschen und mögliche Kipppunkte aufzudecken.

Wir unterstützen zunehmend auch die Mitgestaltung von Ökosystembewertungen und Wiederherstellungsprojekten zusammen mit Interessengruppen und suchen den Dialog mit der Gesellschaft. Unsere gemeinsamen Anstrengungen werden langfristig zu einem besseren Verständnis der Prozesse beitragen, die biologische und biogeochemische Reaktionen auf einen sich verändernden Ozean fördern.

News zum Kernthema

Eine blonde Frau hält einen Blumenstrauß und eine Urkunde in die Kamera
13.11.2024

Von winzigen Organismen und ihrer Riesenleistung im Ozean

Prof. Dr. Susanne Neuer erhält die 31. Exzellenzprofessur der Prof. Dr. Petersen-Stiftung

Ein kleines grünes Tierchen krabbelt auf einem Seegrasstengel unter Wasser
29.10.2024

Mikrobengemeinschaften auf Seegräsern reduzieren Krankheitserreger

GEOMAR-Studie weist hohes antibiotisches Potenzial des Mikrobioms nach

x
28.10.2024

Baku Ocean Declaration zur UN-Klimakonferenz

GEOMAR ist erneut Kooperationspartner im Ocean Pavillon auf der COP29

Eine fast durchsichtige, leicht in regenbogenfarben schillernde Qualle schwimmt vor schwarzem Hintergrund
25.10.2024

Licht in die Dämmerungszone des Ozeans bringen

EU-Twinning-Projekt untersucht Nahrungsnetze der Tiefsee um Madeira

Eine Grafik, die den Küstenraum zeigt
09.10.2024

Schwermetalle im Meer werden giftiger

Wie der Klimawandel Schadstoffe im Meer beeinflusst