Rund um die Azoren-Insel Terceira leben verschiedene Zahnwalarten, die in unterschiedlichen Tiefen jagen. Foto: Véronique Merten, GEOMAR 

Den Zusammenhang zwischen den Zahnwalen und ihrer Beute untersucht die Expedition M202, die jetzt von Terceira aus in ihr Untersuchungsgebiet aufgebrochen ist. Foto: Adobe Stock

Zweieinhalb Wochen werden die Forschenden mit der METEOR im Nordatlantik unterwegs sein, um die Beutetiere der Zahnwale mit modernster Technik zu untersuchen. Foto: Véronique Merten, GEOMAR

Tiefer tauchen für fettere Beute?

METEOR-Expedition M202 untersucht die Ökologie der Beute, um das Jagdverhalten der Zahnwale im Atlantik besser zu verstehen

23.07.2024/Kiel. Am Sonntag ist das Forschungsschiff METEOR zu einer Expedition rund um die Insel Terceira im Azoren-Archipel gestartet. Unter der Leitung von Meeresbiologin Dr. Véronique Merten vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel untersucht ein internationales Team die Vielfalt, Biomasse, Verteilung und Häufigkeit von Beutetieren in den Jagdgründen von Zahnwalen, die in unterschiedlichen Tiefen jagen. Modernste Technologien werden eingesetzt, um zu verstehen, warum so viele verschiedene Walarten in einem relativ kleinen geografischen Gebiet vorkommen können. Die schiffsbasierte Forschung wird ergänzt durch Operationen an Land und mit Hilfe kleinerer Boote, die parallel zur Expedition stattfinden. Die Erkenntnisse werden letztendlich zum Schutz der gefährdeten Meeressäuger beitragen.

Sie können von allen Säugetieren am längsten und am tiefsten tauchen, und doch gehören sie nicht zu den bekanntesten Walarten: Gänse-Schnabelwale Ziphius cavirostris kommen weltweit in gemäßigten, subtropischen und tropischen Breiten vor, werden etwa sieben Meter lang, und ihr kurzer Schnabel ähnelt tatsächlich dem einer Gans. Sie ernähren sich bevorzugt von Tintenfischen, die sie in Tiefen bis zu 3000 Metern jagen und dabei bis zu zwei Stunden lang die Luft anhalten.

„Um die Tiere besser schützen zu können, müssen wir mehr über ihre Nahrungsaufnahme, ihre Beute, und über ihre Jagdgründe wissen“, sagt Meeresbiologin Dr. Véronique Merten, Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe Tiefsee-Biologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Sie leitet die internationale Expedition M202 mit dem deutschen Forschungsschiff METEOR, die jetzt zur Insel Terceira im Azoren-Archipel aufgebrochen ist. Unter dem Titel „Interactions between whales and cephalopods in the Atlantic Ocean“ (Interaktionen zwischen Walen und Tintenfischen im Atlantischen Ozean, ISAAC) wollen die Forschenden das Jagdverhalten und die Beuteauswahl von drei Arten tief tauchender Zahnwale – dem Gänse- und dem Sowerby-Schnabelwal Mesoplodon bidens sowie dem Risso-Delfin Grampus griseus – untersuchen.

Die genauen Wechselwirkungen zwischen diesen schwer fassbaren, tief tauchenden Walen und ihrer schwer zu untersuchenden Beute, den Kopffüßern, sind das Thema einer Zusammenarbeit eines internationalen Teams von Forschenden, die jeweils ihr Fachwissen über Wale und Walbeute einbringen. Geleitet werden diese Forschungsarbeiten von der Walspezialistin Dr. Fleur Visser vom Königlich-Niederländischen Institut für Meeresforschung (Koninklijk Nederlands Instituut voor Onderzoek der Zee, NIOZ), die ein langfristiges Forschungsprogramm zur Biologie der Wale vor der Insel Terceira durchführt, und dem Tintenfisch- und Tiefseebiologen Dr. Henk-Jan Hoving vom GEOMAR.

Auf dem Programm der Expedition M202 stehen umfangreiche Untersuchungen an sechs Tiefseestationen vor der Azoren-Insel Terceira. Gleichzeitig führt das Team von Dr. Fleur Visser Operationen an Land und mit Hilfe kleinerer Boote durch, um die Wale zu untersuchen. Der Schwerpunkt liegt weniger auf den Walen selbst als auf ihrer potenziellen Beute. Dr. Visser: „Die drei Walarten jagen in unterschiedlichen Gebieten und Tiefen. Wir wollen herausfinden, welche biologischen und ozeanografischen Faktoren die jeweiligen besonderen Jagdgründe definieren.“ Im Falle der Gänse-Schnabelwale gibt es eine konkrete Hypothese: Diese Art jagt am weitesten von der Insel entfernt in Tiefen zwischen 900 Metern und dem Meeresboden, der hier etwa 1400 Meter tief ist. „Wir denken, dass dort größere, erwachsene, sich fortpflanzende Tiefseekalmare vorkommen. Für größere, kalorienreichere Individuen könnte sich die energieintensivere Jagd in der Tiefe lohnen.“

Um diese Hypothese zu überprüfen, versucht das Team, Tiefseekalmare in ihrer natürlichen Umgebung mit Tiefseekameras und akustischen Sensoren zu dokumentieren, um Arten und Biomasse in bestimmten Tiefen zu erfassen. Zu den Kameras gehört das pelagische In-situ-Beobachtungssystem PELAGIOS, das vom Schiff geschleppt wird und Videos von den Bewohnern des Freiwassers aufnimmt. An PELAGIOS angebrachte Echolote bestimmen gleichzeitig die Biomasse im Wasser. Das Ozeanboden-Beobachtungssystem OFOS (Ocean Floor Observation System) wird Videos und Fotos vom Meeresboden aufnehmen. Nautilus-Kamerasysteme mit optischen Ködern werden in der Wassersäule treiben gelassen und auf dem Meeresboden abgesetzt, um schwer zu entdeckende Tiefsee-Tintenfische anzulocken und zu beobachten. „Um Tintenfische zu dokumentieren, ist eine Vielzahl von Instrumenten erforderlich, da viele von ihnen ozeanografische Geräte meiden“, sagt Dr. Henk-Jan Hoving. Um das Tauchverhalten der Wale, die Kommunikation und die Biomasse der Tintenfische über die Dauer der Fahrt hinaus während eines ganzen Jahres zu messen, wird das Team eine Verankerung mit Echoloten und Hydrophonen einholen und ausbringen. Die Arbeiten am Nautilus-Kamerasystem und der Verankerung werden vom US-amerikanischen Ozeanographischen Institut Scripps Institution of Oceanography in La Jolla, Kalifornien, geleitet.

Um den potenziellen Beutetieren wie Tintenfischen und Fischen auf die Spur zu kommen, ohne diese fangen oder beobachten zu müssen, werden die Wissenschaftler:innen Umwelt-DNA aus Wasserproben gewinnen. Diese DNA-Proben werden für molekulare Analysen der genetischen Vielfalt der Beutetiere und der Populationsstruktur der Zahnwale verwendet. Außerdem wird das Team Umwelt-DNA nutzen, um die Beutegemeinschaften vor den Azoren mit anderen Regionen zu vergleichen, in denen Gänse-Schnabelwal-Populationen vorkommen. Dr. Merten: „Dieselbe Walart kann in verschiedenen Regionen ein unterschiedliches Tauch- und Jagdverhalten an den Tag legen. Wir möchten wissen, ob sich auch die Beutegemeinschaften zwischen diesen Regionen unterscheiden.“

„Wale spielen eine Schlüsselrolle für das Ökosystem Tiefsee. Deshalb ist es so wichtig, ihr Verhalten und die komplexen ökologischen Beziehungen zwischen ihnen und ihrer Beute besser zu verstehen“, sagt Expeditionsleiterin Dr. Merten. „Darüber hinaus haben unsere wiederholten Bemühungen in der Region in den vergangenen sechs Jahren zu einer einzigartigen Bestandsaufnahme der Artenvielfalt von Tintenfischen und Fischen in den Gewässern vor den Azoren geführt, die uns helfen wird, Veränderungen im Laufe der Zeit zu erkennen.“

Expedition auf einen Blick:

METEOR Expedition M202 ISAAC (Interactions between whales and cephalopods in the Atlantic Ocean)

Fahrtleitung: Dr. Véronique Merten

Datum: 21.07.-07.08.2024

Start: Praia De Vitoria (Portugal)

Ende: Mindelo (Cape Verde)

Fahrtgebiet: Nordatlantik

Eine Insel im Meer, das Meer ist sehr blau und der Himmel auch

Rund um die Azoren-Insel Terceira leben verschiedene Zahnwalarten, die in unterschiedlichen Tiefen jagen. Foto: Véronique Merten, GEOMAR 

Eine Insel im Meer und vorgelagerte Felsen

Den Zusammenhang zwischen den Zahnwalen und ihrer Beute untersucht die Expedition M202, die jetzt von Terceira aus in ihr Untersuchungsgebiet aufgebrochen ist. Foto: Adobe Stock

Ein Schiff liegt am Kai, an Deck ist ein orangener Kran zu sehen

Zweieinhalb Wochen werden die Forschenden mit der METEOR im Nordatlantik unterwegs sein, um die Beutetiere der Zahnwale mit modernster Technik zu untersuchen. Foto: Véronique Merten, GEOMAR