Rekonstruktion von Wassertemperatur und Salzgehalt
Die Rekonstruktion von Umweltbedingungen anhand verschiedenster Indikatoren - ein so genannter "multiproxy"-Ansatz (Abb. 2) - erlaubt Rückschlüsse auf die Veränderlichkeit des Atlantikwassereinstroms in die Arktis und damit des nordwärtigen Wärmetransports. Dazu werden lange, AMS-14C-datierte Sedimentkerne vom Kontinentalrand vor Westspitzbergen (Abb. 1) zeitlich hochauflösend (Dekaden bis Jahrhunderte) sedimentologisch, mikropaläontologisch und geochemisch bearbeitet.

Aus der absoluten und relativen Häufigkeit subpolarer bzw. polarer Foraminiferen (Einzeller; hier: Arten aus temperierten bzw. kalten Wassermassen; Abb. 2) können Schwankungen der Wassertemperatur und die damit einhergehende Verlagerung der Meeresgrenze rekonstruiert werden. Die Sauerstoff- und Kohlenstoffisotopenwerte der Foraminiferenschalen erlauben zusätzlich Rückschlüsse auf den Salzgehalt und die Schichtung der Wassermassen.

Holozäne Veränderlichkeit des Wärmetransports und der Meereisdecke in der Arktis

Kontakt: Dr. Robert F. Spielhagen

                Prof. Dr. Martin Frank

Die Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen ist die wichtigste Verbindung zwischen dem Arktischen Ozean und den übrigen Weltmeeren (Abb. 1). Auf der Ostseite der Meeresstraße fließen warme und salzreiche Wassermassen aus dem Nordatlantik in die Arktis. Dieser warme Strom, die nördlichste Fortsetzung des Golfstroms, sorgt sogar im Winter für überwiegend eisfreie Bedingungen westlich von Spitzbergen. 

Da der Wärmetransport mit dem Nordatlantikstrom der wichtigste Steuerungsfaktor für das mittel- und nordeuropäische Klima darstellt, ist es für die Beurteilung der derzeitigen raschen Klimaveränderungen von besonderem Interesse, die natürliche Schwankungsbreite der Intensität des Wärmetransports genau zu rekonstruieren. Das Seegebiet zwischen dem eisfreien östlichen Europäischen Nordmeer und dem eisbedeckten Arktischen Ozean ist für derartige Rekonstruktionen besonders gut geeignet, da sich die Ablagerungsmilieus deutlich unterscheiden und entsprechend in Sedimenten abbilden. In der Framstraße konzentrieren sich extreme ozeanische Gegensätze, die eine wichtige Rolle für die globale Ozeanzirkulation spielen. 

Jüngster Temperaturanstieg in der Framstraße einmalig in den letzten 2000 Jahren
Anhand von Meeressedimenten konnte nachgewiesen werden, dass die Wassertemperaturen des einströmenden Atlantikwassers in der östlichen Framstraße im Verlauf der vergangenen 2000 Jahre immer wieder um mehrere Zehntel Grad Celsius schwankten. Der jüngste Temperaturanstieg um etwa 2 Grad Celsius in den vergangenen 100 Jahren ist jedoch beispiellos im untersuchten Zeitraum (Abb. 3). Eine solche Erwärmung von Atlantikwasser in der Framstraße hebt sich wesentlich von den Klimaschwankungen der vergangenen 2000 Jahre ab. 

Da kontinuierliche meteorologische und ozeanographische Messdaten nur etwa 150 Jahre zurückreichen, werden für die Untersuchung des Klimas der Vergangenheit indirekte Klimaarchive wie zum Beispiel Eisbohrkerne oder Sedimentkerne verwendet. Für die Rekonstruktion der Wassertemperaturen in der Framstraße wurden spezielle Arten von Foraminiferen untersucht. Diese tierischen Einzeller leben in Wassertiefen von 50 bis 200 Metern und bilden während ihres Lebenszyklus Kalkschalen aus. Sterben sie ab, sinken die Schalen auf den Meeresboden, wo sie im Laufe der Zeit von Sediment bedeckt werden (Abb. 2). So bleiben die Schalen als Fossilien im Meeresboden über lange Zeiträume gut erhalten. Da bestimmte Foraminiferen-Arten ganz spezielle Wassertemperaturen bevorzugen, können anhand der im Meeresboden gefundenen Arten und ihres Alters die ozeanischen und klimatischen Bedingungen der Vergangenheit rekonstruiert werden. 

Gleichzeitig wurde die chemische Zusammensetzung der fossilen Kalkschalen untersucht, die ebenfalls Rückschlüsse auf Temperaturen in der Vergangenheit zulässt. So konnte anhand zweier unabhängiger Untersuchungsmethoden festgestellt werden, dass es während der jüngsten 2000 Jahre der Erdgeschichte immer wieder deutliche Schwankungen zwischen wärmeren und kühleren Phasen gab (Abb. 3). Besonders kalt war es während der ,Kleinen Eiszeit’, von etwa Mitte des 15. bis ins späte 19. Jahrhundert. Ungewöhnlich viele wärmeliebende Foraminiferenarten, die mit dem Atlantischen Wasser in die Arktis transportiert werden, wurden dagegen in den allerjüngsten Ablagerungen gefunden. Beide Untersuchungsmethoden zeigten übereinstimmend einen Temperaturanstieg von etwa 2 Grad Celsius in den letzten 100 Jahren (Abb 3). Die heutigen Temperaturen des Atlantikwassers in der Framstraße liegen ca. 1,5 Grad Celsius höher als etwa im klimatisch warmen Hochmittelalter. Vieles spricht dafür, dass der beschleunigte Rückgang des Meereises und die in den letzten Jahrzehnten gemessene Erwärmung von Ozean und Atmosphäre in der Arktis unter anderem eine Folge des verstärkten Wärmetransports aus dem Atlantik sind.  

Weitere Informationen zum Projekt HOVAG (pdf-Datei)

Literatur
Spielhagen, R.F., K. Werner, S. Aagaard Sørensen, K. Zamelczyk, E. Kandiano, G. Budeus, K. Husum, T. M. Marchitto, M. Hald, 2011: Enhanced Modern Heat Transfer to the Arctic by Warm Atlantic Water. Science, 331, 450-453.

Werner, K., R.F. Spielhagen, D. Bauch, H.C. Hass, E. Kandiano, K. Zamelczyk, 2011: Atlantic Water advection to the eastern Fram Strait - Multiproxy evidence for late Holocene variability. Palaeo3, 308, 264 -276.