55 Millionen Jahre Kohlenstoff-Geschichte
Bohrkerne aus dem Pazifik erlauben präzisen Blick auf Umweltbedingungen der Erdneuzeit
Bei dem Wort „Kohlendioxid“ denken viele Menschen vor allem an steigende Temperaturen in der Erdatmosphäre. Doch für Geochemiker ist das Problem weit größer. „Eigentlich geht es bei der aktuellen Klimadebatte nicht nur um Temperaturen, sondern um den globalen Kohlenstoffkreislauf insgesamt“, sagt Dr. Ed Hathorne vom GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Unter Kohlenstoffkreislauf versteht man den natürlichen Austausch kohlenstoffhaltiger Verbindungen wie beispielsweise Kohlendioxid zwischen Atmosphäre, Ozeanen, Meeresboden oder auch Gesteinen. „Aktuell erleben wir, wie der Mensch massiv in diesen Kreislauf eingreift. Die globale Erwärmung ist dabei nur ein Symptom von vielen“, betont der Geochemiker Dr. Hathorne.
Um mehr über die möglichen Folgen dieses Eingriffs herauszufinden, versuchen er und viele andere Kollegen weltweit, die Prozesse besser zu verstehen, die den Kohlenstoffkreislauf in der Vergangenheit gesteuert haben. Dabei ist einer Gruppe internationaler Wissenschaftler jetzt ein bedeutender Schritt gelungen. Im internationalen Fachmagazin „Nature“ präsentiert sie die Rekonstruktion eines wichtigen Indikators für die Entwicklung des Kohlenstoffkreislaufs für die vergangenen 55 Millionen Jahre mit bisher unerreichter Auflösung. „Es handelt sich um die sogenannte Kalzit-Kompensationstiefe, in Fachkreisen CCD genannt. Sie gibt die Wassertiefe im Ozean an, ab der Kalzit vollständig im Wasser gelöst wird. Diese Tiefe lässt Rückschlüsse darauf zu, wie viel Kohlenstoff zu einer bestimmten Zeit fest gebunden und wie viel als Kohlendioxid in der Atmosphäre war“, erklärt Dr. Hathorne, der zu den Autoren der Nature-Studie zählt.
Grundlage der Studie sind Bohrkerne aus dem Meeresboden des äquatorialen Pazifiks. Im Sommer 2009 hatte das amerikanische Bohrschiff JOIDES RESOLUTION vier Monate lang zwischen Honolulu (Hawaii) und San Diego (Kalifornien) an acht verschiedenen Positionen insgesamt 6,3 Kilometer Kerne aus dem 4300 bis 5100 Meter tiefen Meeresboden gewonnen. „Der Pazifik mit seiner ungeheuren Größe und seiner großen Wassertiefe spielt für den globalen Kohlenstoffkreislauf eine entscheidende Rolle“, erklärt Dr. Hathorne die Wahl des Untersuchungsgebietes. Die Expedition fand im Rahmen des Integrated Ocean Drilling Program (IODP) statt.
Schon an Bord wurden die gewonnenen Bohrkerne unter der Leitung von Dr. Hathorne im Chemie-Labor der JOIDES Resolution auf Kalzitablagerungen hin untersucht. „Aus Kalzit bestehen zum Beispiel die Schalen von abgestorbenen Kleinstlebewesen, die sich üblicherweise am Meeresboden ablagern. Unterhalb der CCD finden sich in den Sedimenten aber keinerlei karbonate Mikrofossilien mehr“, erklärt Dr. Hathorne.
Mit Hilfe der an Bord gemessenen Kalzit-Konzentrationen in den Bohrkernen konnten die beteiligten Wissenschaftler anschließend die Schwankungen der CCD während der Erdneuzeit (Känozoikum) rekonstruieren. Vor rund 55 Millionen Jahren lag sie demnach in 3.300 bis 3.600 Meter Tiefe, stieg vor 52 Millionen Jahren auf 3.000 Meter Wassertiefe an, bevor sie vor 34 Millionen Jahren wieder in größere Tiefen wanderte. Vor 10,5 Millionen Jahren erreichte sie eine Tiefe von 4.800 Metern. Heute liegt sie im Pazifik bei 4500 Metern.
„Die grobe Tendenz war zwar bekannt, aber die neuen Daten haben eine bessere zeitliche Auflösung. Damit kann man auch Schwankungen im Kohlenstoffkreislauf erkennen, die auf geologischen Zeitskalen als kurz gelten“, erklärt Dr. Hathorne, „und das ist interessant, weil die Entwicklung der CCD eng mit der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre gekoppelt ist“ . Die Studie ermöglichet der Wissenschaft also ein besseres Verständnis des Kohlenstoffkreislauf der vergangenen 55 Millionen Jahre und letztendlich auch der aktuellen Entwicklungen.
Originalarbeit:
Pälike, H., et al. (2012): A Cenozoic record of the equatorial Pacific carbonate compensation depth. Nature, 488, http://dx.doi.org/10.1038/nature11360