Antarktis: Rückkehr der Weddell-Polynja stützt Kieler Klimamodelle
Nach 40 Jahren zeigt sich wieder eine große eisfreie Fläche im winterlichen Südozean.
Eigentlich herrscht in der Antarktis noch tiefster Winter. Das Wedell-Meer ist zu dieser Jahreszeit üblicherweise mit einer dicken Eisschicht bedeckt. Doch trotz eisiger Temperaturen in der Region zeigen Satellitenbilder derzeit eine große eisfreie Fläche inmitten des Packeises. Das Loch im Meereis hat ungefähr die Größe von Niedersachsen und fasziniert Klima- und Polarforscher weltweit. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel beobachten die Entwicklung genau. „Für uns ist diese eisfreie Fläche ein wichtiger neuer Datenpunkt, an dem wir unsere Klimamodelle messen können. Ihr Auftreten nach mehreren Jahrzehnten bestätigt zudem unsere früheren Berechnungen“, sagt Dr. Torge Martin, Meteorologe und Klimamodellierer im GEOMAR-Forschungsbereich „Ozeanzirkulation und Klimadynamik“.
Die Polarforschung bezeichnet eine große eisfreie Zone in sonst zugefrorenen Meeresgebieten mit dem russischen Wort Polynja. In der Arktis und Antarktis treten Polynjas regelmäßig auf, jedoch typischerweise in Küstenregionen. Sie spielen dort eine wichtige Rolle bei der Bildung von neuem Meereis und Tiefenwassser. Im offenen Ozean hingegen sind Polynjen selten. Die sogenannte Weddell-Polynja konnte erst ein einziges Mal beobachtet werden. Das war in den 1970er-Jahren. „Damals gab es die ersten Satelliten, mit denen man die Meereisausdehnung aus dem Weltall beobachten konnte. Messungen vor Ort waren und sind mit enormem Aufwand verbunden, so dass es nur selten passende Daten aus dem Ozean gibt“, sagt Dr. Martin.
Trotzdem ist das Phänomen der Weddell-Polynja gut zu erklären. „Der südliche Ozean ist stark geschichtet, eine sehr kalte, aber salzarme Wasserschicht liegt über einer deutlich wärmeren und salzhaltigeren und wirkt wie eine Isolationsschicht“, erklärt Prof. Dr. Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereichs am GEOMAR. Wenn bestimmte Faktoren zusammenkommen, kann das warme Wasser der unteren Schicht an die Oberfläche gelangen und dort das Eis schmelzen. „Das ist wie ein Überdruckventil – der Südozean gibt dann mehrere Winter lang überschüssige Wärme an die Atmosphäre ab, bis das Wärmereservoir erschöpft ist“, ergänzt Professor Latif.
Zwei Fragen blieben bei dieser Erklärung allerdings offen: Wie oft tritt die Polynja auf und hat der Klimawandel Einfluss auf diesen Prozess? „Wenn es kaum Beobachtungsdaten gibt, können uns Computermodelle helfen, die die Wechselwirkungen zwischen dem Ozean, der Atmosphäre und dem Meereis simulieren“, erklärt Dr. Annika Reintges, Erstautorin der jüngsten Studie der Kieler Gruppe. Die Modelle funktionieren nach allgemeinen physikalischen Gesetzen. Realitätsnahe Daten wie das Relief des Meeresbodens in einer Region oder echte Klimadaten als Startpunkt geben einen Rahmen vor, in dem die Modelle laufen.
Allerdings führen Unsicherheiten in den Rahmendaten zu einer Bandbreite von Ergebnissen. „Deshalb versuchen wir immer, die Simulationen an realen Phänomenen abzugleichen, um die Modelle zu verbessern. Leider sind viele Messreihen zu kurz, um die simulierte Klimavariabilität in Zeiträumen von mehreren Jahrzehnten bewerten zu können. Wir vergleichen die Modelle deshalb auch untereinander“, so Dr. Reintges weiter.
US-amerikanische Gruppen haben berechnet, eine Wedell-Meer-Polynya würde wegen des Klimawandels wohl nicht mehr auftreten. Höhere Niederschlagsmengen in der Region und schmelzendes Eis würden demnach die Oberfläche von den tieferen Meeresschichten entkoppeln. In mehrere Studien der Kieler Forschungsgruppe mit dem „Kiel-Climate-Model“ und anderen Computermodellen zeigte sich die Polynja jedoch als Symptom einer natürlichen Schwankung, die früher oder später wieder auftreten würde. „Dass jetzt wieder eine so große, eisfreie Wasserfläche im Weddell-Meer erscheint, bestätigt unsere Theorie und gibt uns einen weiteren, realen Datenpunkt für weitere Modellstudien“, sagt Dr. Martin.
Generell geht es der Kieler Arbeitsgruppe wie vielen Kolleginnen und Kollegen weltweit darum, natürliche Klimaschwankungen von menschengemachten Veränderungen besser zu unterscheiden. „Der Klimawandel ist kein linearer Prozess, sondern baut auf sehr vielen internen Variabilitäten des Ozeans und der Atmosphäre auf. Je besser wir die kennen, umso besser können wir einzelne Veränderungen des Erdsystems bewerten“, fasst Professor Latif die Arbeit zusammen.
Originalarbeiten im Zusammenhang mit der Weddell-Polynja:
Latif, M., T. Martin, A. Reintges, and W. Park (2017), Southern Ocean Decadal Variability and Predictability, Current Climate Change Reports, 3(3), 163-173, http://dx.doi.org/10.1007/s40641-017-0068-8.
Reintges, A., T. Martin, M. Latif, and W. Park (2017), Physical controls of Southern Ocean deep-convection variability in CMIP5 models and the Kiel Climate Model, Geophys. Res. Lett., 44(13), 6951–6958, http://dx.doi.org/10.1002/2017GL074087.
Martin, T., W. Park, and M. Latif (2015), Southern Ocean Forcing of the North Atlantic at Multi-centennial Time Scales in the Kiel Climate Model, Deep Sea Res. Part II, Volume 114, 39–48, http://dx.doi.org/10.1016/j.dsr2.2014.01.018, contributes to special issue on "Southern Ocean Dynamics and Biogeochemistry in a Changing Climate".
Latif, M., T. Martin, W. Park (2013), Southern Ocean Sector Centennial Climate Variability and Recent Decadal Trends, J. Climate, 26, 7767-7782, http://dx.doi.org/10.1175/JCLI-D-12-00281.1
Martin, T., W. Park, and M. Latif (2013), Multi-Centennial Variability Controlled by Southern Ocean Convection in the Kiel Climate Model, Climate Dynamics, 40(7), 2005-2022, http://dx.doi.org/10.1007/s00382-012-1586-7.
Bildmaterial in höherer Auflösung:
Luftbild einer Polynja im Südlichen Ozean. Bild: Jan Lieser, ACE CRC, Australien
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