Das Rote Meer: Kein Baby-Ozean mehr
Verborgene Strukturen offenbaren 13 Millionen Jahre Meeresbodenspreizung
Es ist 2.250 Kilometer lang, aber an der breitesten Stelle nur 355 Kilometer breit – auf einer Weltkarte ähnelt das Rote Meer kaum einem Ozean. Doch das täuscht. Zwischen Afrika und der Arabischen Halbinsel bildet sich tatsächlich ein neues, allerdings noch schmales Ozeanbecken. Wie jung es genau ist und ob man es wirklich mit anderen jungen Ozeanen der Erdgeschichte vergleichen kann, ist in den Geowissenschaften seit Jahrzehnten umstritten. Das Problem: Der in Nord-Süd-Richtung verlaufende Grabbruch, am dem sich das Becken ausdehnt, und die dort neu gebildete ozeanische Erdkruste sind unter einer dicken Decke aus Salz und Sedimenten begraben. Das macht direkte Untersuchungen schwierig.
In der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlichen Wissenschaftler*innen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der King Abdullah University for Science and Technology in Thuwal (Saudi-Arabien) und der Universität Island jetzt eine Studie, die gute Argumente für ein hohes Alter und eine geradezu klassische Ozean-Entwicklung des Roten Meers liefert. „Wir haben mit einer Kombination verschiedener Verfahren erstmals typische Strukturen eines jungen, aber schon voll entwickelten Ozeanbeckens nachweisen können“, sagt Dr. Nico Augustin vom GEOMAR, Erstautor der Studie.
Neben Informationen aus hochauflösenden Meeresbodenkarten und chemischen Untersuchungen an Gesteinsproben nutzte das Team vor allem Schwereanomalien und Erdbebendaten, um ein neues tektonisches Modell des Rotmeerbeckens zu entwickeln. Schwereanomalien konnten bereits in anderen Regionen helfen, verborgene Meeresbodenstrukturen wie Riftachsen, Transformverwerfungen und Tiefseeberge nachzuweisen, zum Beispiel im Golf von Mexiko, in der Labradorsee oder in der Andamanensee.
Die Autor*innen der aktuellen Studie verglichen Schwerkraftmuster des Rotmeer-Grabenbruchs mit vergleichbaren, mittelozeanischen Rücken und fanden dabei mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede. Sie identifizierten zum Beispiel senkrecht zum Grabenbruch verlaufende, positive Schwerkraftanomalien, die durch entlang der Achse verlaufende Variationen der Krustendicke entstehen. „Diese sogenannten 'off-axis segmentation trails' sind sehr typische Merkmale ozeanischer Erdkruste und stammen von magmatisch aktiveren, dickeren und somit schwereren Bereichen entlang der Spreizungsachse. Für das Rote Meer ist diese Beobachtung aber neu“, sagt Dr. Nico Augustin.
Tiefenkarten sowie Erdbebendaten stützen zudem die Vorstellung von einem fast durchgängigen Grabenbruch im gesamten Rotmeerbecken. Das bestätigen auch die geochemischen Analysen von Gesteinsproben aus den wenigen Gebieten, die nicht von Salzmassen überlagert sind. „Alle Proben, die wir aus dem Rift des Roten Meeres haben, weisen geochemische Fingerabdrücke von normaler ozeanischer Kruste auf“, sagt Dr. Froukje van der Zwan, Co-Autorin der Studie.
Mit der Neuauswertung der Schwerkraft- und Erdbebendaten grenzt das Team den Beginn der Ozeanausdehnung im Roten Meer auf etwa 13 Millionen Jahre ein. „Das ist mehr als das Doppelte des allgemein akzeptierten Alters", sagt Dr. Augustin. Das bedeutet, dass das Rote Meer kein Baby-Ozean mehr ist, sondern ein junger Erwachsener mit einer ähnlichen Struktur wie der junge Süd-Atlantik vor etwa 120 Millionen Jahren.
Das jetzt vorgestellte Modell werde in der Wissenschaft natürlich noch diskutiert, so der Hauptautor, „aber es ist die einfachste Interpretation dessen, was wir im Roten Meer beobachten. Viele Details in salz- und sedimentbedeckten Gebieten, die bislang schwer zu erklären waren, machen mit unserem Modell plötzlich Sinn“. Während es so einige Fragen zum Roten Meer beantworten konnte, wirft das Modell aber auch viele neue auf, die zu weiteren Forschungen im Roten Meer aus einer ganz neuen wissenschaftlichen Perspektive anregen.
Originalarbeit:
Augustin, N., F.M. van der Zwan, C.W. Devey, B. Brandsdóttir (2021): 13 million years of seafloor spreading throughout the Red Sea Basin. Nature Communications, https://doi.org/10.1038/s41467-021-22586-2