Der Ozean als Verbündeter im Klimaschutz: Wie beeinflusst marine Alkalinitätserhöhung das Leben im Meer?
Mehrwöchiges Experiment im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts Ocean Alk-Align startet in Kiel
Das im Pariser Klimaabkommen erklärte Ziel, die globale Klimaerwärmung auf möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und damit verbundene Risiken des Klimawandels zu reduzieren, ist eine Generationenaufgabe, die nicht allein durch Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen zu bewältigen ist. Zusätzlich müssen auch Maßnahmen in Betracht gezogen werden, um Kohlendioxid (CO2) aus unvermeidlichen Restemissionen aktiv aus der Atmosphäre zu entfernen. Einer der aktuell diskutierten Ansätze ist die marine Alkalinitätserhöhung: Eine Zugabe von Mineralien soll die Kapazität des Meerwassers steigern, Säure zu binden und Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen. Sie kann gleichzeitig der Ozeanversauerung entgegenwirken, einer Veränderung in der Ozeanchemie, unter der vor allem kalkbildende Organismen leiden. Die Alkalinitätserhöhung ahmt die Verwitterung von Gestein nach. Während dieser Prozess in den vergangenen Jahrmilliarden das Erdklima weitgehend stabil gehalten hat, ist der durch den Menschen verursachte Kohlendioxid-Eintrag etwa hundertmal zu schnell, um durch natürliche Verwitterung ausgeglichen zu werden. Daher sollen Studien zeigen, inwiefern sich der Effekt der Verwitterung entsprechend beschleunigen lässt.
Wie beeinflusst der gezielte Eintrag von Mineralien das Leben an der Basis des marinen Nahrungsnetzes? Wie reagieren Mikroalgen, Kleinkrebse und anderes Plankton? Wie ändern sich die Stoffkreisläufe im Meer? Ein heute beginnendes Experiment unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel hilft, diese und weitere offene Fragen zu klären. Es ist das erste von drei mehrwöchigen Experimenten, die zu verschiedenen Jahreszeiten in der Kieler Förde durchgeführt werden. Die Arbeiten finden im Rahmen des internationalen Projekts Ocean Alk-Align statt, welches von der Universität Dalhousie in Halifax, Kanada, koordiniert wird.
Für ihre Untersuchungen installieren Forschende an der Pier vor dem Kieler Aquarium eine schwimmende Versuchsanlage: Zwölf in sich abgeschlossene Tanks, sogenannte Mesokosmen, isolieren jeweils 8.000 Liter Fördewasser mitsamt dem darin enthaltenen pflanzlichen und tierischen Plankton. Die Umweltbedingungen in den Mesokosmen sind dieselben wie im Meer – ein Wasseraustausch findet jedoch nicht statt. Fünf Mesokosmen werden mit Löschkalk (Weißkalkhydrat, Kalziumhydroxid) und fünf mit Brucit (Magnesiumhydroxid) in jeweils unterschiedlichen Mengen versetzt. Je ein Mesokosmos pro Versuchsreihe bekommt keine Mineralzugabe und dient als Kontrolle. Anders als in früheren Experimenten werden die Mineralien nicht als Lösung, sondern als Gesteinsmehl hinzugegeben, was der wahrscheinlichsten Anwendungsform in großem Maßstab entspricht. Etwa einen Monat lang laufen regelmäßige Probennahmen, Messungen und Analysen, um das Wachstum von Mikroalgen, die Entwicklung des Zooplanktons und zahlreiche andere Prozesse zu überwachen.
„Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Start-Ups entstehen, deren Geschäftsmodell auf dem Verkauf von CO2-Zertifikaten durch Alkalinitätserhöhung im Ozean beruht, besteht dringender Forschungsbedarf zu möglichen Risiken für das Leben im Meer“, erklärt Professor Dr. Ulf Riebesell. Der Leiter der Forschungseinheit Biologische Ozeanographie am GEOMAR koordiniert die Studie gemeinsam mit Dr. Kai Schulz, Gastwissenschaftler der Universität Southern Cross, Australien. „Ziel unserer Forschung ist, eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsgrundlage für den möglichen Einsatz von Alkalinitätserhöhung zur aktiven CO2-Entfernung zu schaffen.“ Andere derzeit erforschte Ansätze zur ozeanbasierten Kohlendioxid-Entnahme sind etwa die Renaturierung von Seegraswiesen, die Kultivierung von Makroalgen oder die Speicherung von Kohlendioxid im Meeresboden (Carbon Capture and Storage, CCS). Welche Maßnahmen letztlich zum Einsatz kommen, muss in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess zur Minderung des Klimawandels entschieden werden.
„Dies ist die erste Studie zur Alkalinitätserhöhung, die sich mögliche saisonale Effekte anschaut. Es ist auch die erste, die mit Gesteinsmehl und nicht schon vorgelöster Alkalinität arbeitet. Wir sind sehr gespannt auf die entsprechenden Erkenntnisse“, sagt Dr. Kai Schulz.
An der Serie von Experimenten beteiligt sind 36 Forschende von einer Vielzahl von Forschungseinrichtungen in Deutschland, Europa, den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada, Australien und Asien.
„Das aktuelle Experiment und die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern stärkt die Expertise der Kieler Meeresforschung zu marinen Kohlenstoffspeichermöglichkeiten für den Klimaschutz“, betont Professorin Dr. Katja Matthes, Direktorin des GEOMAR. „Es betrachtet einen von mehreren derzeit erörterten Ansätzen zur Kohlendioxidaufnahme im Ozean und trägt damit wichtiges Wissen zur gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsfindung bei. Damit ergänzt es auch Erkenntnisse, die in der am GEOMAR koordinierten Forschungsmission ‚Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung‘, CDRmare, der Deutschen Allianz Meeresforschung gewonnen werden.“
Hintergrund: Ocean Alk-Align
Ocean Alk-Align ist ein Forschungsprojekt, das die Effizienz und Beständigkeit, die Umweltsicherheit und Anforderungen an die Überwachung, Berichterstattung und Verifizierung (Monitoring, Reporting, and Verification, MRV) der marinen Alkalinitätserhöhung ergebnisoffen untersucht. Koordiniert wird es von der Universität Dalhousie, Kanada. Beteiligt sind außerdem das GEOMAR sowie die Universität Hamburg und die Universitäten Southern Cross und Tasmanien, Australien. Das Projekt wird von der „Carbon to Sea“-Initiative aus den Vereinigten Staaten von Amerika gefördert.