Die Geschichte der Meerwasser-Zusammensetzung neu schreiben
Neue Studie widerlegt bisherige Annahmen zu konstanten Elementverhältnissen im Ozean
Um aktuelle Entwicklungen im Ozean zu verstehen und zukünftige prognostizieren zu können, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Allerdings reichen konkrete Messdaten kaum 150 Jahre zurück. Für Informationen aus weiter zurückliegenden Epochen nutzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler natürliche Archive, die indirekt etwas über damalige Prozesse im Ozean aussagen. Die Bestimmung der Verhältnisse zwischen bestimmten Elementen im Meerwasser, zum Beispiel Magnesium zu Kalzium oder Strontium zu Kalzium, ist dabei ein wichtiges Werkzeug. Diese Element-Verhältnisse werden in den Karbonat-Skeletten von Organismen wie Foraminiferen oder Korallen „eingefroren“ und ermöglichen dann wichtige Rückschlüsse auf Meerwassertemperaturen und andere Umweltbedingungen aus lange vergangenen Zeiten.
Bislang ging man davon aus, dass diese Element-Verhältnisse im Ozean relativ konstant sind und sich nur sehr langsam über Millionen von Jahren verändern. Jetzt hat eine internationale Forschergruppe unter der Leitung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel im Rahmen des Future Ocean Netzwerkes diese Annahme durch eine umfangreiche Studie überprüft. „Dabei fanden wir heraus, dass sich die Variabilität der Magnesium-zu-Kalzium- und Strontium-zu-Kalzium-Verhältnisse im heutigen Ozeanwasser von Ökosystem zu Ökosystem deutlich unterscheiden kann. Da man bislang von einer weitgehend einheitlichen Zusammensetzung im gesamten Ozean ausgegangen war, stellt sich die Frage, ob bisher ein Umwelteffekt übersehen wurde“, sagt Dr. Mario Lebrato, der die Studie vom Institut für Geowissenschaften der CAU aus initiiert hat. Sie ist jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.
Für die Studie haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als zehn Ländern über neun Jahre auf 79 Schiffsexpeditionen weltweit 1100 Proben in 14 verschiedenen Ökosystemen von der Wasseroberfläche bis in 6000 Metern Tiefe gesammelt und anschließend analysiert. Die Ergebnisse sind sowohl relevant für die Rekonstruktion der Ozeangeschichte als auch für das Verständnis von aktuellen biogeochemischen Prozessen.
„Für die Rekonstruktion von Ozeantemperaturen in früheren Epochen der Erdgeschichte sind wir bisher von bekannten und konstanten Verhältnissen im Meerwasser ausgegangen. In unserem Labor haben wir die Präzision zur Bestimmung dieser Verhältnisse um ein Vielfaches verbessert und können mit unseren neuen hochpräzisen Daten jetzt zeigen, dass diese Annahme nicht immer zutrifft“, sagt Co-Autor Dr. Dieter Garbe-Schönberg, Leiter der Labore für Spurenelementgeochemie am Institut für Geowissenschaften an der Universität Kiel.
„Es ist spannend, solch große räumliche Unterschiede der Element-Verhältnisse im heutigen Ozean zu sehen. Sie sind nur schwer mit unserer derzeitigen Vorstellung von Transport und Vermischung von Wassermassen zu vereinbaren. Sie stellen daher eine Herausforderung für Ozeanmodellierer dar, diese Muster mit dem in Einklang zu bringen, was wir über die Ozeanphysik und die Senken und Quellen dieser chemischen Elemente wissen", ergänzt Prof. Dr. Andreas Oschlies, Leiter der Abteilung Biogeochemische Modellierung am GEOMAR und ebenfalls Co-Autor der Studie.
Die Forschung müsse jetzt verstehen, was die aktuelle Variabilität der Element-Verhältnisse verursacht und welche Auswirkungen sie hat. „Erst wenn wir die zu Grunde liegenden Mechanismen tiefgreifend verstehen, können wir die Element-Verhältnisse besser für verschiedene meereswissenschaftliche Disziplinen und Fragestellungen nutzen“, betont Dr. Lebrato, der mittlerweile am Bazaruto Center for Scientific Studies in Mosambik arbeitet, mit Blick in die Zukunft. Dies gilt besonders für Meeresregionen in Küstennähe und in hohen Breiten der Sub-Polargebiete. Hier müssen dann auch die Methoden zur Rekonstruktion der Ozeantemperaturen in der Vergangenheit entsprechend der regionalen Ökosysteme korrigiert werden.