Die Sauerstoff-Optodensensoren wurden ausgiebig im Labor und im Feld getestet, wie hier bei einem Verankerungseinsatz. Foto: Tobias Hahn, GEOMAR

"Wir müssen uns viele Gedanken darüber machen, wie wir diese Knollen abbauen, die eigentlich Batterien im Gestein sind,“ urteilt Erstautor Professor Dr. Andrew Sweetman von der Scottish Association for Marine Science (SAMS). Foto: ROV KIEL 6000, GEOMAR

Eine neue Sauerstoff-Quelle in der Tiefsee?

Vom GEOMAR unterstützte Forschung stellt Frage nach Ursprüngen des Lebens in Frage und fordert weitere Untersuchungen zur Sauerstoff-Produktion in der Tiefsee

22.07.2024/Oban/Kiel. Eine Entdeckung in den dunklen Tiefen des Pazifischen Ozeans hinterfragt den wissenschaftlichen Konsens über die Sauerstoff-Produktion auf unserem Planeten – und darüber, wie das Leben auf der Erde begann. In einer heute in der Fachzeitschrift Nature Geoscience veröffentlichten Studie zeigt ein Team von Autor:innen unter der Leitung der Scottish Association for Marine Science (SAMS), dass Sauerstoff in völliger Dunkelheit am Meeresboden in 4.000 Metern Tiefe entsteht. Sie stellen die Hypothese auf, dass die Elektrolyse des Meerwassers zu dieser „dunklen Sauerstoffproduktion“ beitragen könnte. Expertise des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel über spezielle Sensoren half bei der Untersuchung des Phänomens, das in überraschendem Gegensatz zu der Tatsache steht, dass Sauerstoff normalerweise von Photosynthese treibenden Organismen mit Hilfe der Energie des Sonnenlichts produziert wird.

Photosynthese treibende Organismen wie Pflanzen und Algen nutzen die Energie des Sonnenlichts, um den Sauerstoff der Erde zu erzeugen. Bei Expeditionen in die Clarion-Clipperton-Zone im Nordpazifik in den Jahren 2021 und 2022 entdeckte jedoch ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Dr. Andrew Sweetman von der Scottish Association for Marine Science (SAMS) in Oban, Großbritannien, dass Sauerstoff auch in völliger Dunkelheit am Meeresboden in 4.000 Metern Tiefe produziert wird, wo kein Licht eindringen kann. Die Studie erschien heute in der Fachzeitschrift Nature Geoscience. Sie hinterfragt den wissenschaftlichen Konsens darüber, wie Sauerstoff produziert wird – und wirft erneut die Frage auf, wie das Leben auf der Erde begann.

„Damit aerobes Leben auf der Erde entstehen konnte, musste es Sauerstoff geben, und nach unserem Verständnis begann die Sauerstoffversorgung der Erde mit Photosynthese treibenden Organismen“, sagt Professor Dr. Sweetman. „Aber wir wissen jetzt, dass Sauerstoff in der Tiefsee produziert wird, wo es kein Licht gibt. Ich denke daher, dass wir Fragen wie die nach den Anfängen des aeroben Lebens neu betrachten müssen.“

Die Entdeckung wurde bei Beprobungen des Meeresbodens in der Clarion-Clipperton-Zone gemacht, mit deren Hilfe mögliche Auswirkungen des Tiefseebergbaus bewertet werden. Bei diesem Verfahren würden polymetallische Knollen gewonnen, die Metalle wie Mangan, Nickel und Kobalt enthalten und dazu beitragen könnten, den wachsenden Bedarf an Lithium-Ionen-Batterien für Elektrofahrzeuge und Mobiltelefone zu decken.

Die Forschenden fanden heraus, dass die Knollen eine sehr hohe elektrische Ladung aufweisen, was zur Aufspaltung von Meerwasser in Wasserstoff und Sauerstoff per „Meerwasserelektrolyse“ führen könnte. Für die Meerwasserelektrolyse ist nur eine Spannung von 1,5 Volt erforderlich – was der Spannung einer typische AA-Batterie entspricht. Das Team analysierte mehrere Knollen und verzeichnete auf der Oberfläche einiger Knollen Messwerte von bis zu 0,95 Volt, was bedeutet, dass erhebliche Spannungen auftreten können, wenn die Knollen zusammengeballt sind.

Da bei allen Studien, die jemals in der Tiefsee durchgeführt wurden, nur Sauerstoff verbraucht und nicht produziert wurde, vermuteten die Forschenden zunächst, dass ihre Sensoren defekt seien. Doch trotz Neukalibrierungen tauchten die überraschenden Sauerstoffwerte immer wieder auf – und so wurde ein Ansatz zur Kontrolle gesucht.

In diesem Zusammenhang stellte Tobias Hahn als Doktorand am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel seine Expertise zu einem speziellen Typ von Sauerstoff-Optoden-Sensoren zur Verfügung. Um methodische Unsicherheiten zu vermeiden und Möglichkeiten eines inkorrekten Sensorverhaltens zu erforschen, führte Hahn Kalibrierungen durch, prozessierte Daten und wertete sie aus.

„Durch unseren Austausch haben wir eine Datenqualität sichergestellt, die über die typischen Messunsicherheiten hinausgeht und das individuelle Drift- und Druckverhalten der Sensoren mit einbezieht“, so der chemische Ozeanograph. „Ich war erstaunt über die Ergebnisse und gleichzeitig erleichtert, die Qualität und Validität der Daten der Sauerstoff-Sensoren, die während der ersten Feldkampagnen gewonnen wurden, erneut zu bestätigen. Gleichzeitig konnte ich weitere Ratschläge für den Umgang mit diesem Sensor bei künftigen Einsätzen geben.“

Prof. Dr. Sweetman urteilt, dass weitere Untersuchungen zur Produktion von „dunklem Sauerstoff“ während der Grundlagen-Untersuchungen zur Mineraliengewinnung in der Tiefsee erforderlich sind – ebenso wie eine Bewertung der Frage, wie die Erstickung von Sedimenten während des Abbaus den Prozess verändern kann. „Durch diese Entdeckung haben wir viele unbeantwortete Fragen aufgeworfen. Ich finde, wir müssen uns viele Gedanken darüber machen, wie wir diese Knollen abbauen, die eigentlich Batterien im Gestein sind.“

Original-Publikation:

Sweetman, A.K., Smith, A.J., de Jonge, D.S.W. et al. (2024): Evidence of dark oxygen production at the abyssal seafloor. Nature Geoscience, doi: https://doi.org/10.1038/s41561-024-01480-8

Die Sauerstoff-Optodensensoren wurden ausgiebig im Labor und im Feld getestet, wie hier bei einem Verankerungseinsatz.

Die Sauerstoff-Optodensensoren wurden ausgiebig im Labor und im Feld getestet, wie hier bei einem Verankerungseinsatz. Foto: Tobias Hahn, GEOMAR

Manganknollen am Boden der Tiefsee

"Wir müssen uns viele Gedanken darüber machen, wie wir diese Knollen abbauen, die eigentlich Batterien im Gestein sind,“ urteilt Erstautor Professor Dr. Andrew Sweetman von der Scottish Association for Marine Science (SAMS). Foto: ROV KIEL 6000, GEOMAR