Goldene Regeln zur Rettung der Fischbestände
30 internationale Fachleute fordern Neudefinition nachhaltiger Fischerei
Eine Gruppe von 30 international führenden Ozeanforscher:innen fordert eine Neudefinition des Begriffs „nachhaltige Fischerei“, die Erkenntnisse aus Biologie, Ozeanografie, Sozialwissenschaften und Wirtschaft integriert. Die Expert:innen schlagen elf „Goldene Regeln“ vor, die das bestehende Fischereimanagement grundlegend infrage stellen und die Erholung der Fischbestände ermöglichen sollen. Die Studie „Rethinking sustainability of marine fisheries for a fast-changing planet“ („Nachhaltige Meeresfischerei für einen sich wandelnden Planeten neu denken“) erscheint heute in dem Nature-Fachjournal npj Ocean Sustainability.
„Business as usual ist dramatisch gescheitert, wie die zunehmende Anzahl zusammengebrochener Bestände und Fischereien zeigt“, sagt Mitautor Dr. Rainer Froese, Biologe und Fischerei-Experte am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, der die Ursache hauptsächlich im Missmanagement der Bestände sieht.
Für eine Neuausrichtung sehen die Forschenden zwei zentrale Leitprinzipien: Eine de facto nachhaltige Fischerei müsse ihre Auswirkungen auf Meeresarten und -lebensräume minimieren, sich an den Klimawandel anpassen und zur Regeneration erschöpfter Meeresökosysteme beitragen. Gleichzeitig müsse sie die Gesundheit und Resilienz von Menschen und Gemeinschaften fördern, insbesondere von denjenigen, die am stärksten gefährdet sind. Fischerei dürfe nicht länger vor allem großen Unternehmen zugutekommen.
Elf Goldene Regeln für eine nachhaltige Zukunft
Mit ihren elf „Goldenen Regeln“ bieten die Autor:innen einen Fahrplan für den Wandel hin zu einer nachhaltigen und sozial gerechten Fischerei. Dazu gehören Maßnahmen wie die Einführung von Schutzgebieten, die Reduktion von Beifang und zerstörerischen Fangmethoden sowie die Unterstützung handwerklicher Fischereien und die Anpassung der Fangquoten an den Klimawandel.
„Wir müssen die Fischerei als Privileg und nicht als Recht betrachten. Meereslebewesen sind ein öffentliches Gut. Es sollte sowohl der Gesellschaft als auch der Natur zugutekommen und nicht Gegenstand eines von wirtschaftlichen Interessen getriebenen Wettlaufs um Ressourcen sein“, betont Erstautor Professor Dr. Callum Roberts, Meeresbiologe an der Universität von York (Großbritannien). „Unsere Arbeit plädiert für Fischereien, die die lebenswichtigen Funktionen der Ozeanökosysteme erhalten, den Klimawandel mildern, die Ernährungssicherheit garantieren und die Menschenrechte respektieren“, ergänzt Professor Dr. Daniel Pauly von der University of British Columbia (Kanada).
Die Vorschläge der Wissenschaftler:innen seien ehrgeizig, aber realistisch, und die meisten der empfohlenen Maßnahmen beruhten auf bereits bewährten Praktiken, betont Rainer Froese: „Unsere Fische wachsen schnell, wenn wir sie nur lassen. Wenn wir zwei bis drei Jahre weniger fischen, dann können wir danach dauerhaft mehr Fisch mit gutem Gewissen genießen. Das klappt aber nur, solange die Bestände noch nicht zusammengebrochen sind.“
Ein veraltetes Verständnis von „Nachhaltigkeit“
Die Forscher:innen warnen vor einem veralteten Konzept von „nachhaltiger Fischerei“, das in den letzten Jahrzehnten sowohl von Regierungen als auch von der Industrie weitgehend übernommen wurde. Es beruht auf der falschen Annahme, dass nachhaltiger Fischfang sich darauf beschränkt, die jährlichen Fangmengen zu begrenzen – unabhängig von den eingesetzten Fangmethoden oder den ökologischen und sozialen Auswirkungen. Dadurch profitierten vor allem kapitalintensive Industrien des Globalen Nordens, während Ökosysteme geschädigt, handwerkliche Fischereien gefährdet und die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen aufs Spiel gesetzt werden.
Auch Supermärkte in der Verantwortung
Die Wissenschaftler:innen fordern politische Entscheidungsträger:innen, den Handel und Fischereimanager:innen auf, die vorgeschlagenen Regeln umzusetzen. Dabei betonen sie die Verantwortung, die auch Supermärkten zukommt. Sie sind für fast zwei Drittel des Verkaufs von Fisch und Meeresfrüchten in Europa verantwortlich. Diese könnten die Fischereipraktiken durch ihre Einkaufspolitik beeinflussen, Nachhaltigkeitssiegel prüfen und auf die wachsende Besorgnis der Verbraucher:innen hinsichtlich der Umwelt- und Sozialauswirkungen ihrer Lebensmittel reagieren.
Original Publikation:
Roberts, C., Béné, C., Bennett, N. et al. Rethinking sustainability of marine fisheries for a fast-changing planet. npj Ocean Sustain 3, 41 (2024). doi.org/10.1038/s44183-024-00078-2
Über die Autorengruppe
Die Studie ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von dreißig Autoren aus diversen akademischen Disziplinen – von Biologie und Ozeanographie bis hin zu den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften – und vielen Nationalitäten aus folgenden Ländern: Australien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Kuba, Mexiko, Norwegen, Portugal, Schweiz, Uruguay und USA.
Förderung:
Die Studie wurde von der Levine Family Foundation finanziert, einer britischen philanthropischen Organisation, die sich der Wiederherstellung der Gesundheit der Ozeane widmet.