Erdbeben und potentielle Risiken besser verstehen lernen
Forschungsexpedition SONNE294 untersucht vor der amerikanischen Westküste genaue Vorgänge in erdbebenrelevanter Zone.
Erdbeben mit Magnituden größer als 8.5 in sogenannten Subduktionszonen gehören zu den gefahrenträchtigsten marinen Naturgefahren weltweit. Als Subduktion wird bezeichnet, wenn in einer Ozeanregion Erdkruste und der äußere Teil des Erdmantels am Rand einer tektonischen Platte in den darunter liegenden Erdmantel eintauchen, während der Rand gleichzeitig von der angrenzenden Platte überschoben wird. Dabei entstehen oft Spannungen, die sich in schweren Erdbeben lösen. Die Cascadia Subduktionszone im Ostpazifik gehört zu den Regionen, für die in naher Zukunft ein solches Beben erwartet wird. Sie befindet sich vor den US-amerikanischen Staaten Oregon, Washington und einem Teil vor der Küste Vancouver Islands. Wegen der hohen Bevölkerungsdichte der Küstenregion, mit Städten wie Victoria, Vancouver und Seattle, die in der Nähe der Plattengrenze liegen, ist das Gefährdungspotenial sehr hoch.
Derzeit ist über den Bereich der Cascadia-Verwerfung vor Vancouver Island, in dem die Erdbeben entstehen, wenig bekannt. So mangelt es zum Beispiel immer noch an Informationen dazu, wie lang die Bruchzone – also die Platten, die aneinandergleiten – oder die Fläche eines Bebens ist. Da hieraus die Magnitude berechnet und somit auch die Gefahrenlage für angrenzende Küstenregionen abgeschätzt wird, erforscht nun ein Team von Ozeanwissenschaftler:innen unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, wo sich die erdbebenrelevante, so genannte seismogene Zone, abgrenzen lässt. Hierzu werden auf der Expeditionsfahrt CLOCKS mit dem Forschungsschiff SONNE Daten über den kanadischen Teil der Cascadia-Verwerfung erhoben.
„Mit Beben eines solchen Ausmaßes gehen viele Gefahren einher.“, bestätigt Dr. Michael Riedel, Fahrtleiter und Wissenschaftler der marinen Geodynamik am GEOMAR. „Zum einen das Beben selbst, das von den sich verschiebenenden tektonischen Platten ausgelöst wird. Bei Erdbeben in Ozeanregionen kommt aber noch ein Tsunamirisiko hinzu, das die Küstengebiete zusätzlich bedroht. Die genauen Vorgänge in der Cascadia-Region müssen wissenschaftlich besser verstanden werden, um abschätzen zu können, wann präventiv gehandelt werden muss.“
Um Daten für verschiedene Fragestellungen zur Erdbebenregion erheben zu können, werden auf der SONNE-Expedition (SO294) unterschiedliche Messmethoden eingesetzt. Mit Hilfe seismischer Daten wird die Verformung des Meeresbodens, die durch Erdbeben entstanden ist, kartiert. Thermische Daten werden mit seismischen Methoden kombiniert, um die Temperatur an der Plattengrenze und damit verbundene Entwässerungsprozesse zu verstehen. Mit magnetollurischen Messmethoden wird die Leitfähigkeit eines Gesteins gemessen, die in Abhängigkeit von den darin enthaltenen Flüssigkeiten variiert. Alle diese Daten werden zur Antwort der Frage beitragen, ob und wie sich Beben in vorangegangenen Fällen über die gesamte Fläche bis hin zum abknickenden Teil erstreckten. Dies lässt Rückschlüsse auf das zukünftige Verhalten von Erdbeben im Cascadia-Raum zu.
Da im Forschungsgebiet bekannterweise viele Walarten beheimatet sind, werden acht Beobachter:innen für Meeressäuger die Fahrt begleiten und durch intensives Monitoring sicherstellen, dass seismische Messungen nur durchgeführt werden, wenn ein ausreichender Abstand zu den Tieren eingehalten wird.
Hochkarätiger Auftakt für die Expedition
Auch auf politischer und diplomatischer Ebene findet die Expedition schon im Vorfeld Anerkennung. Zum Auftakt fand am 10. September ein Empfang des Generalkonsuls der Bundesrepublik Deutschland in Vancouver, Marc Eichhorn, sowie des Kapitäns des Forschungsschiffs SONNE, Tilo Birnbaum, am Pembina Canada Terminal in Vancouver statt, an dem auch die Direktorin des Staatlichen Geologischen Dienstes von Kanada (Geological Survey of Canada (Pacific) at Natural Resources Canada, GSC), Dr. Sonia Talwar, teilnahm.
„Wissenschaft ist im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos und so freue ich mich besonders, dass diese für Kanada und Deutschland und weit darüber hinaus so bedeutsame Forschungsmission hier in Vancouver beginnt.“, so Eichhorn. „Sie ist Beweis und Symbol für die enge deutsch-kanadische Kooperation, gerade in für die Menschheit besonders wichtigen Bereichen wie dem Katastrophenschutz und dem Klimawandel.“
Um die wissenschaftliche Expedition in den Gewässern vor Vancouver Island durchführen zu dürfen, war zudem die Einwilligung der Vertreter:innen der indigenen Völker (First Nations), notwendig. Das Arbeitsgebiet der SO294-Expedition grenzt an First Nations Gebiet.