Experten für den Atlantik treffen sich in Kiel
160 Teilnehmer beim zweiten Jahrestreffen des europäischen Großprojekts AtlantOS
Entdeckungen und Unterdrückung, Handel und Krieg, freiwillige und erzwungene Auswanderung – die Geschichte Europas, Afrikas und Amerikas ist im Guten wie im Bösen ohne den Atlantik als verbindenden Verkehrsweg nicht denkbar. Das Netz der Kontakte zwischen den Kontinenten ist so eng, dass der Ozean den Spitznamen „großer Teich“ erhielt. Dennoch ist das Wissen über den Atlantik immer noch lückenhaft und kratzt buchstäblich nur an der Oberfläche. Zahlreiche Prozesse im Inneren der atlantischen Wassermassen, die unmittelbar das Wetter und das Klima der angrenzenden Kontinente, ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln oder ihre Gefährdung durch Naturkatastrophen beeinflussen, sind weitgehend unbekannt oder nicht verstanden. Das europäische Großforschungsprojekt AtlantOS soll mit Hilfe einer verbesserten Beobachtung des Ozeans dafür sorgen, dass einiger dieser Wissenslücke in den kommenden Jahren geschlossen werden.
In dieser Woche versammeln sich 160 Forscherinnen und Forscher aus ganz Europa, aus Nordamerika sowie aus Partnerländern in Afrika und Südamerika in Kiel zum zweiten AtlantOS-Projekttreffen. „Der Ozean ist ein hochkomplexes System, in dem alle Komponenten eng miteinander verzahnt sind. Deshalb können wir ihn nur in einer gemeinsamen Anstrengung vieler Länder und vieler wissenschaftlicher Disziplinen besser verstehen“, betont der Ozeanograph Prof. Dr. Martin Visbeck vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, der das Projekt koordiniert.
„AtlantOS ist nicht nur aus rein wissenschaftlicher Sicht interessant. Gerade der Schutz vor Naturkatastrophen, Auswirkungen des Klimawandels oder die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln sind politisch und wirtschaftlich relevante Themen“, betont Professor Visbeck. Deshalb trafen sich zu Beginn der Woche in einem gesonderten Workshop Meeresforscherinnen und Meeresforscher aus mehreren europäischen Ländern mit Experten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-Operation and Development, OECD), um das wirtschaftliche Potential von verbesserten Ozeaninformationen zu diskutieren.
Das eigentliche Projekttreffen dient vor allem der Bestandaufnahme des bisherigen Kenntnisse über den Atlantik und der Methoden zur Beobachtung biologischer, physikalischer und biogeochemischer Prozesse. „Es gibt bereits viele Initiativen, den Atlantik zu vermessen, zum Beispiel im Rahmen des Global Ocean Observing Systems, kurz GOOS. Aber viele Messungen erfolgten bisher in zeitlich befristeten und räumlich begrenzten Projekten“, sagt Professor Visbeck, „wir wollen einen umfassenderen Blick auf den Atlantik erhalten.“ Darüber hinaus nutzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Treffen in Kiel, um Messkampagnen und Arbeiten der kommenden Jahre vorzubereiten, deren Daten schneller und einfacher zugänglich zu machen und neue Ozeaninformationsprodukte zu entwickeln.
Am Freitag schließt sich zudem ein gemeinsam von AtlantOS und vom Kieler Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ organisierter Workshop an, der sich speziell mit den Möglichkeiten beschäftigt, Biodiversität im Ozean zu messen und zu überwachen. „Die Vielfalt des Lebens ist ein wichtiger Faktor, auch im Ozean. Aber es gibt bisher kaum einheitliche Definitionen oder Messmethoden, um eine verlässliche Basis für internationale Beobachtungen zu liefern“, erklärt Professor Visbeck, der auch Sprecher des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft“ ist.
„Selten kommen so viele Expertinnen und Experten für den Atlantik aus allen Fachdisziplinen an einem Ort zusammen. Schon alleine das ist ein Erfolg des AtlantOS-Projekts. Der Atlantik hat einen gewaltigen Einfluss auf alle Menschen an seinen Küsten. Deshalb müssen wir ihn besser verstehen“, resümiert der Projekt-Koordinator.
Ansprechpartner:
Jan Steffen (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel.: 0431 600-2811, presse(at)geomar.de