Gemeinsame Aufgabe Munitionsbergung aus dem Meer
Bundesumweltministerin Lemke informiert sich in der Kieler Bucht über Munitionsbelastung
„Normalerweise darf hier niemand reinfahren“, sagt Professor Dr. Jens Greinert, als die HELMSAND die beiden gelben Tonnen passiert, die das Sperrgebiet Kolberger Heide in der Kieler Bucht markieren. Der Meeresgeologe vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Meeresforschung Kiel ist als Experte für Altmunition mit an Bord bei der Ausfahrt von Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, die sich im Rahmen ihrer Sommerreise über die Belastung der Ostsee mit Weltkriegsmunition und die zu erwartenden Herausforderungen bei der Bergung informiert. Die Wehrtechnische Dienststelle der Bundeswehr hat für diesen Zweck ein Erprobungsboot zur Verfügung gestellt, mit dem das Sperrgebiet befahren werden darf.
Vor drei Jahren war Lemke schon einmal hier in dem Munitionsversenkungsgebiet vor Heidkate, damals an Bord des GEOMAR-Forschungsschiffes ALKOR, von dem aus Jens Greinert und seine Forschungsgruppe Tiefsee Monitoring die Altlasten am Meeresboden kartiert haben. Ihr damaliger Besuch habe ihr die Problematik besonders nahegebracht, sagt Lemke. Seitdem ist viel passiert. Auf Initiative der Bundesumweltministerin hin hat die Bundesregierung 100 Millionen Euro für das Sofortprogramm für die Bergung und Vernichtung von Altmunition in Nord- und Ostsee zur Verfügung gestellt.
„Wir haben lange darum gerungen“, sagt Steffi Lemke, umso glücklicher sei sie, dass ihr Ministerium jetzt zusammen mit dem Land Schleswig-Holstein mit der Umsetzung des Sofortprogrammes beginnen kann. Tobias Goldschmidt, der Umweltminister des Landes, betont: „Die Wissenschaft hat viel geleistet, der Bund hat viel geleistet, und wir als Land werden auch mitfinanzieren.“ Diese Zusammenarbeit bezeichnet GEOMAR-Direktorin Professorin Dr. Katja Matthes als beispielhaft: „Die Aufgabe, den Meeresboden von Munitionsaltlasten zu befreien oder diese zumindest merklich zu verringern, wird keine leichte. Nur das Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft kann einer solchen Herausforderung wirksam begegnen.“
Genau dieses Zusammenspiel unterstützt Professor Greinert mit seinem derzeitigen Projekt CONMAR (CONcepts for conventional MArine Munition Remediation in the German North and Baltic Sea – Konzepte zur Sanierung konventioneller Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee) im Rahmen der Mission sustainMare der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM): Die Forschenden entwickeln Konzepte, bündeln das vorhandene Wissen und beraten Wirtschaft und Politik. Seit 2016 wird am GEOMAR zu Munition im Meer geforscht. „Der Anstoß dazu kam damals aus dem schleswig-holsteinischen Umweltministerium“, sagt Greinert. Unterdessen wurden insbesondere die vier bekannten Munitionsversenkungsgebiete in der deutschen Ostsee kartiert – neben der Kolberger Heide sind das zwei Gebiete in der Lübecker Bucht und eines bei Falshöft außerhalb der Flensburger Förde.
Während der Kapitän die HELMSAND mit abgestelltem Motor im Sperrgebiet treiben lässt, beschreibt der Meeresgeologe den Mitreisenden, darunter der Landrat des Kreises Plön, Björn Demmin, plastisch, was sich unter der glitzernden blauen Oberfläche der Ostsee verbirgt: „Wir sind gerade über gut 80 Munitionsobjekte gefahren.“
Seeminen, Bomben, Torpedoköpfe, Granaten – nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ließen die Alliierten zehntausende Tonnen davon direkt aus den deutschen Munitionsfabriken im Meer verklappen. Lange Zeit wurde dem Thema keine Beachtung geschenkt. Doch die Zeit drängt: Die Metallhüllen rosten durch, Sprengstoff liegt teilweise bereits offen auf dem Meeresboden, krebserregendes und erbgutschädigendes Trinitrotoluol (TNT) und dessen Umbauprodukte konnten in Zusammenarbeit mit der Toxikologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) und dem Thünen Institut im Wasser, in Muscheln und Fischen nachgewiesen werden. Dennoch komme der Paradigmenwechsel beim Thema Altmunition nach Einschätzung Professor Greinerts gerade noch rechtzeitig.
Im Rahmen des Sofortprogramms sollen ab dem kommenden Jahr zunächst mit herkömmlicher aber angepasster Technik Probebergungen von konventioneller Munition in noch bergungsfähigem Zustand vorgenommen und parallel dazu eine spezielle Bergungsplattform entwickelt werden. „Dass es jetzt losgeht, begrüßen wir aus wissenschaftlicher Sicht sehr“, sagt GEOMAR-Direktorin und DAM-Vorstandsmitglied, Professorin Dr. Katja Matthes. „Die Munitionsräumung in Nord- und Ostsee wird für die Wissenschaft, für Politik und Gesellschaft eine Aufgabe von mehreren Jahrzehnten sein.“
Über CONMAR:
Der Forschungsverbund CONMAR (CONcepts for conventional MArine Munition Remediation in the German North and Baltic Sea, Konzepte zur Sanierung konventioneller Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee) ist Teil der Forschungsmission sustainMare der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM). In dem Projekt wird das Wissen über Risiken, Strategien und Handlungsoptionen zu Munitionsaltlasten im Meer gebündelt und Politik und Wirtschaft beraten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Projekt mit 4,8 Millionen Euro.
Über sustainMare:
Die Forschungsmission zum Thema „Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume“, kurz sustainMare, ist eine von zwei laufenden Forschungsmissionen der Deutschen Allianz für Meeresforschung (DAM), Diese Mission konzentriert sich auf Regionen in der Nord- und Ostsee. In sieben Verbundprojekten werden verschiedene Einflussfaktoren wie Eutrophierung, Fischerei, Schifffahrt oder Verschmutzung erforscht und Strategien für eine nachhaltige Nutzung der Meere entwickelt. Das BMBF fördert sustainMare mit 25 Millionen Euro.
Über die DAM:
Die Deutsche Allianz Meeresforschung (DAM) bündelt die Expertise von 24 universitären und außeruniversitären Einrichtungen, die Meeresforschung betreiben. Sie wurde 2019 gemeinsam mit dem Bund und den norddeutschen Bundesländern Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gegründet. Ziel der DAM ist es, den nachhaltigen Umgang mit den Küsten, Meeren und Ozeanen zu stärken durch Forschung und Transfer, Datenmanagement und Digitalisierung sowie die Koordinierung der Infrastrukturen. Dafür erarbeitet die DAM gemeinsam mit ihren Mitgliedseinrichtungen lösungsorientiertes Wissen und vermittelt Handlungsoptionen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.