Meeresschnee sinkt von der Wasseroberfläche in die Tiefe. Laut der Studie nimmt er auf diesem Weg Mikroplastik mit. In den tieferen Wasserschichten wird der Schnee dann von Bakterien als Nahrung genutzt, sodass das Plastik von seinem Transportmittel befreit wird. Dann steigt es entweder wieder an die Oberfläche oder treibt weiter in der Tiefe. Foto: Henk-Jan Hoving/GEOMAR
Die Simulation zeigt die Entwicklung der Menge an Mikroplastik, die durch biologische Aggregate, wie beispielsweise Meeresschnee, gebunden ist. Dabei wird vor das Oberflächenwasser bis zu einer Tiefe von einem Meter in den Jahren 1980 - 2020 betrachtet. Auffällig ist die Entwicklung in den Küstenregionen. Grafik: Karin Kvale/GEOMAR

Im Meer schneit es Plastik

GEOMAR-Studie zeigt, wie Mikroplastik über das Nahrungsnetz in tiefere Meeresschichten transportiert wird

7.10.2020/Kiel. Jedes Jahr landen rund vier Prozent des an Land anfallenden Plastikmülls im Meer. Während die Wege der größeren Plastikstücke bereits gut nachvollzogen werden können, gibt das Schicksal des Mikroplastiks im Meer der Wissenschaft noch Rätsel auf. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel konnten jetzt erstmals in einer Studie modellieren, wie und wo biologische Prozesse Mikroplastik von der Oberfläche in tiefere Schichten des Wassers transportieren. Diese Prozesse könnten für den Großteil des Mikroplastiktransports verantwortlich sein, so die Studie, die jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Scientific Reports erschienen ist.

Die Verschmutzung unserer Meere durch Plastikmüll ist ein Problem, das mittlerweile viel Beachtung erhält. Um es lösen zu können, ist es wichtig, genau nachzuverfolgen, wie viel Plastik sich in den Ozeanen befindet und wie es sich bewegt. Doch bei Untersuchungen dazu fiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf, dass ein Teil des Plastiks zu verschwinden schien: Die Menge an Kunststoff, die tatsächlich an der Meeresoberfläche gefunden wurde, war deutlich geringer als erwartet. Das gilt vor allem für Mikroplastik. Es hat maximal einen Durchmesser von fünf Millimetern, manchmal sind es aber auch nur einige Mikrometer. Es gelangt entweder durch direkten Eintrag ins Meer, zum Beispiel über den Wind, Flüsse oder Schiffe, oder es entsteht, wenn größere Plastikteile im Wasser durch Umwelteinflüsse zerfallen.

Während sich an der Meeresoberfläche weniger Mikroplastik als erwartet findet, konnte es schon in der Arktis und im Marianengraben, dem tiefsten bekannten Punkt der Erde, nachgewiesen werden. Es bleibt allerdings die Frage, wie es dort hingelangt. Forscherinnen und Forscher vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben versucht, diese Frage zu beantworten. Dafür haben sie erstmals modelliert, wie biologische Prozesse, Mikroplastik in die Tiefe tragen, zum Beispiel über den sogenannten Meeresschnee. Die Forschungsgruppe simulierte dafür die Bewegungen von Mikroplastik in den Ozeanen innerhalb eines Erdsystemmodells. Die Ergebnisse wurden jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.

Es gibt verschiedenen Wege, wie Mikroplastik in die tieferen Schichten des Ozeans gelangen kann. Der wohl offensichtlichste Grund ist der Auftrieb: Hat das Plastik keinen Auftrieb, sinkt es zum Meeresboden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden nun aber heraus, dass eine große Menge des Mikroplastiks auch aufgrund biologischer Prozesse von der Oberfläche nach unten befördert wird.

Dafür verantwortlich ist vor allem das Plankton, das nah an der Oberfläche lebt. Seine Ausscheidungen, abgestorbene Zellen oder ganze Organismen und anderes organisches Material verbinden sich mit dem Mikroplastik und sinken wie Schneeflocken langsam in die Tiefe. Dort dienen sie Bakterien als Futter. So wird das Plastik von seinem Transportmittel befreit und treibt entweder in der Tiefe weiter oder steigt wieder zur Oberfläche auf. „Auf den ersten Blick scheint dieser Transportweg also ziemlich ineffektiv zu sein. Unsere Studie zeigt, dass von zwei, in manchen Regionen sogar von drei auf diesem Weg gebundenen Plastikteilen nur eines in wirklich die Tiefe sinkt, der Rest verbleibt an der Oberfläche“, sagt Dr. Karin Kvale vom GEOMAR, Hauptautorin der Studie. Der Prozess ist jedoch so weit verbreitet, dass er genug Plastik aus den oberen Schichten des Wassers entfernt, um das fehlende Plastik dort zu erklären. „Der sogenannte ‚Marine Schnee‘ hat so also einen großen Einfluss auf die globale Mikroplastikverteilung“, erklärt die Modelliererin weiter.

Genaue Modellierungen der biologischen Prozesse mit Mikroplastik in einem Erdsystemmodell bieten außerdem die Möglichkeit, Prognosen darüber zu treffen, wie sich diese Zusammenhänge in Zukunft ändern könnten, wenn der Klimawandel Ozeanzirkulation und Ökosysteme beeinflusst.  Dr. Kvale betont: „Zu verstehen, wie Plastik sich durch unsere Ozeane bewegt, ist grundlegend wichtig, um mit der zunehmenden Verschmutzung der Meere umzugehen und die Auswirkungen von Mikroplastik auf marine Ökosysteme auf einer globalen Ebene zu begreifen.“

Originalarbeit:

Kvale K, AEF Prowe, C-T Chien, A Landolfi, A Oschlies (2020): The global biological microplastic particle sink. Scientific Reports. DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-020-72898-4   

Kleine Partikel schweben im Wasser.
Meeresschnee sinkt von der Wasseroberfläche in die Tiefe. Laut der Studie nimmt er auf diesem Weg Mikroplastik mit. In den tieferen Wasserschichten wird der Schnee dann von Bakterien als Nahrung genutzt, sodass das Plastik von seinem Transportmittel befreit wird. Dann steigt es entweder wieder an die Oberfläche oder treibt weiter in der Tiefe. Foto: Henk-Jan Hoving/GEOMAR
Die Simulation zeigt die Entwicklung der Menge an Mikroplastik, die durch biologische Aggregate, wie beispielsweise Meeresschnee, gebunden ist. Dabei wird vor das Oberflächenwasser bis zu einer Tiefe von einem Meter in den Jahren 1980 - 2020 betrachtet. Auffällig ist die Entwicklung in den Küstenregionen. Grafik: Karin Kvale/GEOMAR