Das Forschungsobjekt der Studie: der Stichling

Infektionskrankheiten und Sex

Ein Cocktail, der Immungen-Variabilität aufrechterhält

10.01.2012/Plön, Kiel. Die große Variation bei bestimmten Immungenen macht die Suche nach passenden Organspendern in der Transplantationsmedizin sehr kompliziert. Andererseits brauchen wir diese Variabilität, um resistent gegen Infektionen zu bleiben. Deshalb spielen diese Immungene auch eine große Rolle bei der Wahl des Sexualpartners. Welche natürlichen Selektionskräfte diese Variationsbreite aufrechterhalten, konnte bislang nur vermutet werden. Forscher vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön und dem GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben nun an Stichlingen nachgewiesen, dass immer wieder neu auftretende Infektionskrankheiten darüber entscheiden, welche Individuen mit welchem Satz an Immungenen in einer Population besonders viele Nachkommen haben. Ständig wechselnde Infektionskrankheiten sorgen somit für den Erhalt der immungenetischen Variabilität (Nature Communications am 10. Januar).

Gemeinsame Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie und des GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Organtransplantationen sind heutzutage meist erfolgreich. Der klinische Erfolg hängt aber nach wie vor davon ab, ob es gelingt, für einen Organ-Empfänger einen passenden Spender zu finden. Passend heißt, dass sich bestimmte grundlegende Gene des Immunsystems (beim Menschen HLA, engl. Human Leucocyte Antigen) bei Spender und Empfänger nicht unterscheiden dürfen. Wenn die HLA-Gene sich unterscheiden, erkennen die Empfänger-Moleküle das neue Organ als „fremd” und starten eine Immunreaktion gegen das implantierte Organ. Innerhalb der menschlichen Population gibt es jedoch eine große Variabilität in diesen HLA-Genen: Angesichts von mehr als 1000 Varianten sind zwei zufällig herausgegriffene Menschen ziemlich sicher unterschiedlich und daher nicht kompatibel.

Was ein Problem für die Transplantation einer Leber ist, ist bei der Suche nach Partnern für die Fortpflanzung ein Vorteil. Menschen wie auch Fische und Mäuse bevorzugen Partner, die die beste Ergänzung zu den eigenen HLA-Genvarianten anbieten. Die Immungen-Ausstattung eines potenziellen Partners wird dabei über den Körpergeruch wahrgenommen. Wir haben diese Bevorzugung im Zuge der Evolution entwickelt, um unsere Kinder mit dem besten Satz von Immungenen auszustatten und sie damit bestmöglich gegen Infektionskrankheiten zu schützen.

Um den jeweils am besten passenden Partner wählen zu können, ist es gut, dass es viele Partner mit einem unterschiedlichen Satz an Immungenen „auf dem Markt” gibt. Diese hohe Variabilität in individuellen HLA-Genen, die man Polymorphismus nennt, ist außergewöhnlich, denn in allen anderen Genen sind sich Menschen einander tatsächlich sehr ähnlich. Es ist immer noch ein großes Rätsel, welche Selektionskräfte diesen Polymorphismus aufrechterhalten, der so wichtig ist, um unsere Kinder mit einer optimalen Immungen-Mischung zu versorgen, aber Transplantationen so kompliziert macht.

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön und vom GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sind dieser Frage mit der Hilfe von Stichlingen nachgegangen. Denn tatsächlich ist der HLA-Polymorphismus, bei ihnen MHC genannt (engl. Major Histocompatibility Complex), bei allen Wirbeltieren zu beobachten. Wie beim HLA ist die Hauptfunktion der MHC-Gene, den Organismus gegen Infektionskrankheiten zu schützen. „Es gab Vermutungen, dass der MHC-Polymorphismus in natürlichen Populationen durch von Generation zu Generation wechselnde Infektionskrankheiten aufrechterhalten wird“, erklärt Manfred Milinski, Direktor am Plöner Max-Planck-Institut.

Um diese Idee zu testen, haben die Wissenschaftler in einer großen Experimentalanlage am Plöner Institut sechs genetisch identische Stichlingspopulationen jeweils einem von zwei häufigen Stichlingsparasiten ausgesetzt. Die Forscher stellten fest, dass in allen sechs Populationen nur die MHC-Gene, die Resistenz gegen den jeweiligen Parasiten boten, in der Generation der Nachkommen häufiger geworden waren. „Das heißt, dass sich die gerade vorteilhaften “adaptiven” MHC-Varianten in der Population ausbreiten, so dass die nächste Generation resistenter gegen diesen Erreger ist – bis ein anderer Krankheitserreger auftaucht“, erläutert Christophe Eizaguirre, der Erstautor der Studie. 

Bei Erscheinen eines neuen Erregers sind wieder andere Individuen im Vorteil, die zufällig die dann passenden Resistenz-MHC-Varianten tragen. Sie bleiben gesund und haben daher mehr Nachkommen. Die neue adaptive MHC-Variante kann sich nun entsprechend ausbreiten, usw. Auf diese Weise wird der enorme MHC-Polymorphismus aufrechterhalten – und macht weiterhin Probleme bei Transplantationen, aber hilft uns auch, in jeder Generation gesunde Kinder zu produzieren.

Originalarbeit: 

Eizaguirre C., Lenz T. L., Kalbe M., and Milinski M., 2011: Rapid and adaptive evolution of MHC genes under parasite selection in experimental vertebrate populations. Nature Communicationsdoi: 10.1038/ncomms1632

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Manfred Milinski, Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, Tel. 04522 763254. milinski(at)evolbio.mpg.de 

Dr. Christophe Eizaguirre, Tel. 0431 600-4559, ceizaguirre(at)geomar.de 

Dr. Andreas Villwock (Kommunikation & Medien, GEOMAR), Tel. 0431 600-2802presse(at)geomar.de 

 

Die Pressemitteilung als pdf.

Das Forschungsobjekt der Studie: der Stichling