Jede Schicht eine Naturkatastrophe
GEOMAR-Forscher präsentieren 3D-Analyse von vulkanischen Ablagerungen vor der Karibikinsel Montserrat
Eine komplette Stadt versunken in Vulkanasche – bei diesem Bild denken vielen Menschen zunächst an das antike Pompeji. Doch auch in der jüngsten Vergangenheit haben Vulkane Menschen aus ihren Häusern vertrieben und ganze Städte verschüttet. Ein Beispiel ist die Hafenstadt Plymouth auf der Karibikinsel Montserrat. 1995 brach der im Zentrum der Insel gelegene Vulkan Soufrière Hills nach einer rund 300-jährigen Ruhephase aus. In den folgenden zwei Jahren ergossen sich mehrmals Pyroklastische Ströme, 500 Grad Celsius heiße und bis zu 100 km/h schnelle Glut- und Aschelawinen, über die Stadt und ihre Umgebung. 1997 gaben die Behörden Plymouth endgültig auf. Die gesamte Südhälfte der Insel Montserrat ist seitdem Sperrgebiet. Der Soufrière Hills ist bis heute sehr aktiv.
Diese lang anhaltende Folge von Eruptionen bietet Wissenschaftlern aber auch die Chance, mehr über das Verhalten von Vulkanen und daraus resultierende Gefahren zu lernen. Diesem Ziel diente beispielsweise eine Expedition des britischen Forschungsschiffs RRS JAMES COOK im Mai 2010. In ihrem Verlauf wurden vulkanische Ablagerungen vor der Ostküste der Insel kartiert. Einige dieser Ablagerungen sind während der jüngsten Ausbruchsphase entstanden, andere schon vor mehreren tausend Jahren. Bei der Kartierung kam erstmal für derartige Untersuchungen das am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel weiterentwickelte P-Cable Seismik System zum Einsatz. Es kann hoch aufgelöste, dreidimensionale Abbilder des Untergrunds erstellen. Speziell dazu war ein Geophysiker-Team des GEOMAR unter Leitung von Prof. Dr. Christian Berndt auf der JAMES COOK eingeschifft. Die Ergebnisse der Vermessungen präsentieren die Kieler Forscher jetzt gemeinsam mit ihren britischen Kollegen in einer Reihe von Publikationen, die seit Jahresbeginn in mehreren internationalen Fachzeitschriften erschienen sind. „Dank der 3D-Technik konnten wir ein deutlich besseres Verständnis davon entwickeln, wie sich vulkanisches Material im Meer ablagert und welche Prozesse sich dabei abspielen“, fasst Professor Berndt die Einzelanalysen zusammen.
Die Kenntnis dieser Prozesse ist für die Gefahrenabschätzung überaus wichtig. Denn Vulkane bedrohen Menschen nicht nur, wenn sie ihr Material direkt über bewohntem Gebiet abladen. „Im Laufe seine Existenz sind immer wieder Teile des Soufrière Hills abgebrochen und im Osten und Süden der Insel ins Meer gerutscht. Einige der älteren Erdrutsche hatten ein Volumen von über fünf Kubikkilometern und bewegten sich mehr als zehn Kilometer weit ins Meer. Sie erzeugten höchstwahrscheinlich auch Tsunamis“, erklärt Professor Berndt. Doch selbst kleinere vulkanische Hangrutschungen haben das Potential Tsunamis zu generieren. So löste ein Pyroklastischer Strom, der in Folge eines teilweisen Kollapses des Vulkangipfels entstand, im Jahr 2003 einen Tsunami aus, der an der Ostküste Montserrats 15 Meter erreichte und auf der Nachbarinsel immerhin noch einen Meter hoch war und einige Fischerboote zerstörte.
Mit Hilfe der 3D-Seismik konnten die Kieler Forscher nun die verschiedenartigen Ablagerungen am Meeresboden und ihre zeitliche Reihenfolge deutlicher voneinander trennen, als das mit bisherigen Methoden möglich gewesen wäre. Außerdem konnten sie die Grenzschichten zwischen den einzelnen Ablagerungen und dem Meeresboden genau betrachten. „Überrascht hat uns zum Beispiel, dass Pyroklastische Ströme, die bis ins Meer gelangt sind, den Untergrund dort kaum erodiert haben. Das ist ein deutlich anderes Verhalten, als wir es an Land kennen“, erklärt der Geophysiker Jens Karstens vom GEOMAR. „Im Gegenteil hierzu können die großen Hangrutschungen höchst erosiv sein, was möglicherweise zu einer schnelleren Abbremsung und somit geringeren Tsunamihöhen als bisher angenommen führen könnte“, ergänzt sein Kollege Dr. Gareth Crutchley.
Die Einzelerkenntnisse, die die Forscher über das Verhalten vulkanischer Ablagerungen im Meer gewonnen haben, helfen nicht nur die Geschichte des Soufrière Hills besser zu entschlüsseln. „Mit unseren 3D-Daten können wir auch geologische Computermodelle eichen, mit denen man in Zukunft das Gefahrenpotential von Inselvulkanen besser abschätzen kann“, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe Professor Berndt. „So gesehen hat sich unser Seismik-System als sinnvolles Werkzeug der Vulkanforschung bewährt“.
Originalarbeiten:
Crutchley, G.J., J. Karstens, C. Berndt, P.J. Talling, S.F.L. Watt, M.E. Vardy, V. Hühnerbach, M. Urlaub, S. Sarkar, D. Klaeschen, M. Paulatto, A. Le Friant, E. Lebas, F. Maeno (2013): Insights into the emplacement dynamics of volcanic landslides from high-resolution 3D seismic data acquired offshore Montserrat, Lesser Antilles. Marine Geology, Vol. 335, http://dx.doi.org/10.1016/j.margeo.2012.10.004
Karstens, J., G.J. Crutchley, C. Berndt, P.J. Talling, S.F.L. Watt, V. Hühnerbach, A. Le Friant, E. Lebas, J. Trofimovs (2013): Emplacement of pyroclastic deposits offshore Montserrat: Insights from 3D seismic data. Journal of Volcanology and Geothermal Research, Vol. 257, http://dx.doi.org/10.1016/j.jvolgeores.2013.03.004
Bildmaterial in höherer Auflösung:
Das P-Cable 3D-Seismik-System wird während der Expedition JC45 mit dem britischen Forschungsschiff RRS JAMES COOK vor der Karbikinsel Montserrat ausgebracht. Foto: J. Karstens, GEOMAR
Die Arbeiten finden in Sichtweite des Vulkans Soufrière Hills statt. Foto: J. Karstens, GEOMAR
Am Fuß des Soufrière Hills sind Ablagerungen von pyroklastischen Strömen zu erkennen. Foto: J. Karstens, GEOMAR
Plymouth, die Hauptstadt der Insel Montserrat, ist vom Vulkan Soufrière Hills verschüttet worden. Foto: J. Karstens, GEOMAR
Ansprechpartner:
Jan Steffen (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel.: 0431 600-2811, jsteffen(at)geomar.de