Kaltwasserkorallen: Versauerung schadet, Wärme hilft
Langzeitstudie offenbart kombinierte Auswirkungen zweier Klimawandel-Faktoren
Weil sie ihre Skelette aus Kalk (Kalziumkarbonat) aufbauen, gelten Kaltwasserkorallen wie die weltweit verbreitete Art Lophelia pertusa als besonders von Ozeanversauerung bedroht. Diese Veränderung in der Meerwasser-Chemie, ausgelöst durch die Aufnahme von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre, führt dazu, dass weniger Karbonat-Ionen vorhanden sind. Je weniger Karbonat-Ionen zur Verfügung stehen, desto aufwändiger wird die Kalkbildung. Laborstudien am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zeigen jedoch: Ein gleichzeitiger Anstieg der Wassertemperaturen könnte Lophelia pertusa helfen, den negativen Folgen der Ozeanversauerung entgegenzuwirken. Die Experimente, die im Rahmen des deutschen Forschungsprojekts zur Ozeanversauerung BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification) stattfanden, belegen, wie wichtig es ist, die Reaktionen von Lophelia pertusa sowohl auf einzelne Aspekte des Klimawandels als auch auf eine Kombination dieser Aspekte zu untersuchen.
Für ihre Untersuchungen sammelten Meeresbiologinnen und Meeresbiologen des GEOMAR auf einer Expedition mit dem Forschungsschiff POSEIDON und dem Tauchboot JAGO Kaltwasserkorallen im Trondheim-Fjord (Norwegen). „Auf Tauchgängen mit JAGO haben wir einen unmittelbaren Eindruck vom Zustand der Riffe bekommen. Wir haben dessen Ausbreitung und die Lebewelt im Riff dokumentiert und unsere Proben sehr gezielt ausgewählt“, erklärt Janina Büscher. Die Doktorandin aus der Forschungseinheit Biologische Ozeanografie leitete die Experimente und ist Erst-Autorin einer Veröffentlichung zu Auswirkungen von Ozeanversauerung und Erwärmung auf Lophelia pertusa im Fachmagazin Frontiers in Marine Science. „Der Artenreichtum dieser Riffe, die in fast völliger Dunkelheit und bei Temperaturen unter zehn Grad Celsius existieren, ist beeindruckend.“ Viele der über Jahrhunderte gewachsenen untermeerischen Oasen stehen als Naturerbe unter Schutz. Ihr Artenreichtum sichert die Widerstandsfähigkeit des Ökosystems im Fjord, und viele Fischarten finden hier Unterschlupf und Nahrung.
Um mehr über die Zukunft der Korallen zu erfahren, wurden diese sechs Monate lang in den Laboren des GEOMAR gehalten. Die Wassertemperatur in einigen Aquarien blieb wie im norwegischen Riff bei acht Grad Celsius, in anderen wurde sie auf zwölf Grad erhöht. Die Kohlendioxid-Konzentration wurde entweder auf den aktuellen Wert von 400 Mikroatmosphären oder auf den für das Ende dieses Jahrhunderts erwarteten Wert von 800 Mikroatmosphären eingestellt. Als zusätzlicher Testparameter wurde das Futterangebot variiert. Einige Korallen erhielten zehn Mal mehr Nahrung als die in den jeweiligen Vergleichs-Anordnungen.
Monatliche Messungen und abschließende Analysen zeigten: Bei Versauerungs-Bedingungen und unveränderten Wassertemperaturen wuchsen die Korallen unabhängig vom Nahrungsangebot langsamer. Bei erhöhten Temperaturen entwickelten sie sich trotz Versauerung jedoch etwa genauso schnell wie unter heutigen CO2-Konzentrationen und Wassertemperaturen. Vom höheren Nahrungsangebot profitierten die Korallen nur so lange lediglich ein Parameter erhöht war. Waren beide Parameter erhöht, konnten die Korallen die zusätzliche Nahrung nicht aufnehmen. „Durch den aufwändigen Versuchsaufbau wird deutlich, dass sich die Wirkungen unterschiedlicher Umweltfaktoren gegenseitig beeinflussen. In unserem Experiment haben sie einander kompensiert. Aber wir wissen von Studien an anderen kalkbildenden Organismen, dass sie sich bei höheren Temperaturen auch verstärken könnten“, fasst Janina Büscher zusammen.
Je nachdem, wie stark der Ozean im Zuge des Klimawandels versauert und welche Temperaturen die Korallen erleben, könnten die Reaktionen insgesamt weniger neutral ausfallen als im Experiment beobachtet, fürchtet das GEOMAR-Team. Auch können weitere, bisher noch nicht untersuchte Umweltveränderungen, etwa Überdüngung oder Verschmutzung, die Korallen in Zukunft zusätzlich belasten. Weiteren Anlass zur Sorge bereitet die Beobachtung, dass offenbar nur lebende Korallen den geänderten Bedingungen trotzen. Abgestorbene Lophelia-Stöcke, die das Fundament heutiger Riffe bilden, sind nicht gegen das saurere Wasser geschützt und könnten stärker angegriffen werden.
„Wir haben in unseren Experimenten gesehen, wie flexibel Lophelia pertusa reagiert und wie verschiedene Faktoren einander beeinflussen. Dass sie einander unter bestimmten Bedingungen auch abmildern können, könnte Anlass zu vorsichtiger Hoffnung sein. Aber wir wissen noch zu wenig, um Entwarnung zu geben“, urteilt Janina Büscher. Aktuell versuchen die Forschenden, anhand neuerer Studien kritische Schwellenwerte für Versauerung und Erwärmung zu ermitteln. Sie vermuten, dass Lophelia nur so lange von steigenden Temperaturen profitiert, wie diese innerhalb der Grenzen liegen, die diese Art weltweit zurzeit bereits erlebt. In vielen Regionen sind sie aber schon an ihrem Temperatur-Limit. Steigen die Temperaturen weiter, könnte der im Kieler Experiment beobachtete kompensierende Effekt in einen negativen Effekt umschwenken, der die Wirkung der Ozeanversauerung zusätzlich verstärkt. Obwohl noch viele Fragen offen sind, mahnen die Forschenden: „Wenn wir weitere, detaillierte Erkenntnisse abwarten, ehe wir etwas gegen den Klimawandel unternehmen, kann es bereits zu spät sein, um die Kaltwasserkorallen-Riffe zu bewahren.“
Original-Veröffentlichung:
Büscher, J.V., Form, A.U. and Riebesell, U. (2017): Interactive Effects of Ocean Acidification and Warming on Growth, Fitness and Survival of the Cold-Water Coral Lophelia pertusa under Different Food Availabilities. Frontiers in Marine Science 4:101. doi: 10.3389/fmars.2017.00101
BIOACID in Kürze:
Unter dem Dach von BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification) untersuchen zehn Institute, wie marine Lebensgemeinschaften auf Ozeanversauerung reagieren und welche Konsequenzen dies für das Nahrungsnetz, die Stoff- und Energieumsätze im Meer sowie schließlich auch für Wirtschaft und Gesellschaft hat. Das Projekt begann 2009 und ging im Oktober 2015 in die dritte, finale Förderphase. BIOACID wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Koordination liegt beim GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Eine Liste der Mitglieds-Institutionen, Informationen zum wissenschaftlichen Programm und den BIOACID-Gremien sowie Fakten zur Ozeanversauerung sind auf der Website www.bioacid.de zu finden.
Video:
BIOACID-Wissenschaftsporträt: Janina Büscher
Kontakt:
Maike Nicolai (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel.: 0431 600-2807, presse(at)geomar.de