Kohlendioxid mit Hilfe des Ozeans speichern – aber sicher
Forschung des GEOMAR liefert wichtige Impulse für politische Entscheidungen
Mit zwei Eckpunkte-Papieren konkretisiert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sein Engagement für den Klimaschutz und Initiativen zum Ausgleich derzeit nicht vermeidbarer Kohlendioxid-Emissionen, insbesondere Emissionen aus Zementproduktion und Abfallverbrennung. Neben den Eckpunkten für die deutsche Carbon Management Strategie und dem Entwurf zur Änderung des Kohlendioxidspeicherungsgesetzes wurden auch Eckpunkte zur Langfriststrategie Negativemissionen zum Umgang mit nicht vermeidbaren Restemissionen (LNe) bekannt gegeben. Die adressierten Maßnahmen ergänzen die dringend notwendige drastische Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes.
Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel besitzt eine mehr als 15 Jahre lange Expertise in der Forschung zur Speicherung von Kohlendioxid (CO2) unter dem Meeresboden. Außerdem beteiligen sich Wissenschaftler:innen des GEOMAR an einer Vielzahl nationaler und internationaler Forschungsprojekte zur Kohlendioxid-Aufnahme im Ozean. Die Forschungsmission „Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung“ (CDRmare) der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) wird am GEOMAR koordiniert. Im Rahmen von CDRmare untersuchen sechs Forschungsverbünde verschiedene Ansätze im engen Dialog mit Stakeholdern.
Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid im Meeresboden
Die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) wurde entwickelt, um klimaschädliche Emissionen an ihrer Quelle einzufangen und im Untergrund einzulagern. Wissenschaftlichen Arbeiten der vergangenen Jahre zufolge ist die CCS-Technologie ausreichend erforscht und einsetzbar. Im tiefen Untergrund der Nordsee wird sie bereits seit Jahrzehnten unter norwegischen Gewässern praktiziert. Unter der deutschen Nordsee existieren ebenfalls Gesteinsformationen, in denen sich große Mengen CO2 speichern ließen. Überwachungs- und Vorsorgekonzepte sowie Strategien zum Umgang mit möglichen Konflikten durch andere Nutzungsformen der Nordsee sind nötig, um Risken zu minimieren und Gefährdungen auszuschließen.
„Die Bekanntgabe der Eckpunkte ist ein erster wichtiger Schritt. In den kommenden Monaten wird dann die Carbon Management Strategie der Bundesregierung veröffentlicht, in der klar definiert wird, für welche Sektoren wir CCS benötigen und einsetzen wollen. Gleichzeitig wird ein Gesetzentwurf zur CO2-Speicherung und zum CO2-Transport in den Bundestag eingebracht. Sobald das Gesetz in Kraft getreten ist, können die Firmen aktiv werden und ihre CCS-Pläne in die Tat umsetzen“, erklärt Professor Dr. Klaus Wallmann. Der Kieler Geowissenschaftler leitet den Forschungsverbund „Submarine Kohlendioxid-Speicherung in Geologischen Formationen der Deutschen Nordsee“ (GEOSTOR) der Forschungsmission CDRmare und ist Mitglied im Expertenrat der Carbon Management Strategie.
Allerdings liege noch ein längerer Weg vor den Beteiligten, so Professor Wallmann: „Geeignete Standorte für die CO2-Speicherung unter der Nordsee müssen gefunden und genau erkundet werden, die Infrastruktur für den CO2-Transport muss geplant und gebaut werden und die Abscheideanlagen an Zement- und Kalkwerken oder Abfallverbrennungsanlagen müssen konstruiert werden. Zudem werden öffentliche Fördermittel benötigt, um die ersten CCS-Projekte finanziell zu unterstützen. Es wird daher wahrscheinlich noch etwa zehn Jahre dauern, bis es wirklich losgeht und CO2 im industriellen Maßstab unter dem Meeresboden der deutschen Nordsee eingebracht wird.“
Negative Emissionen mit Hilfe des Ozeans
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wird die Langfriststrategie Negativemissionen zum Umgang mit unvermeidbaren Restemissionen (LNe) Ansätze adressieren, mit deren Hilfe bis 2045 eine Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden soll. Unter den im jetzt veröffentlichten Eckpunkte-Papier betrachteten Methoden sind für den marinen Bereich etwa die Erhaltung und Renaturierung von Seegraswiesen und Algenwäldern sowie eine beschleunigte Verwitterung genannt – im Ozean als Alkalinitätserhöhung bezeichnet. Während natürliche CO2-Speicher durch unmittelbare Maßnahmen direkt gestärkt werden können, sind für andere Ansätze zunächst Rahmenbedingungen für eine Erforschung der Chancen und Risiken zu schaffen.
Um auf das wachsende Interesse und zunehmende Aktivitäten im Bereich der ozeanbasierten Kohlendioxid-Entnahme zu reagieren, haben internationale wissenschaftliche Netzwerke unter leitender Beteiligung des GEOMAR Leitfäden für eine transparente und nachhaltige Forschung erarbeitet. In einem dreiteiligen Experiment unter Leitung des GEOMAR im Rahmen des internationalen Projekts Ocean Alk-Align untersuchen Wissenschaftler:innen aus verschiedenen meereswissenschaftlichen Disziplinen in diesem Jahr, wie marine Ökosysteme auf eine Erhöhung der Alkalinität durch beschleunigte Verwitterung reagieren. Vergleichbare Experimente fanden bereits im Rahmen der Forschungsmission CDRmare und des Projekts Ocean-based Negative Emission Technologies (OceanNETs) statt. Darüber hinaus laufen in der Kieler Förde kontinuierlich Experimente zur Renaturierung von Seegraswiesen.
„Da viele Start-Ups die Kommerzialisierung von ozeanbasierter Kohlendioxid-Entnahme vorantreiben, sind wir gefordert, die Forschung und eventuelle spätere Anwendung auf eine verantwortungsvolle Basis zu stellen. Dazu haben wir neben eigener Forschung auch gerade einen ‚Best Practices Guide to Ocean Alkalinity Enhancement Research‘ veröffentlicht, um die Transparenz jeglicher Forschung – auch von Start-Ups – und einen beschleunigten Wissensgewinn zu erreichen. Im Vordergrund der Bemühungen muss aber weiterhin stehen, unsere Emissionen drastisch zu senken“, erklärt Professor Dr. Andreas Oschlies. Der Leiter der Forschungseinheit Biogeochemische Modellierung ist Ko-Leiter der Forschungsmission CDRmare. „Die in den Eckpunkte-Papieren und Strategien betrachteten Ansätze können zusammen höchstens zehn Prozent unserer derzeitigen Emissionen ausgleichen – 90 Prozent müssen wir vermeiden, und dabei benötigen wir ein deutlich ambitionierteres Vorgehen.“
„Forschende des GEOMAR tragen mit ihren Erkenntnissen in nationalen und internationalen Projekten maßgeblich zur politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsfindung im Bereich des ozeanbasierten Klimaschutzes bei. Die Bandbreite unserer Forschung umfasst dabei naturnahe Ansätze für die CO2-Aufnahme im Meer wie die Renaturierung von Seegraswiesen, Verfahren mit Bezug zur Ozeanchemie wie die Alkalinitätserhöhung sowie die Speicherung von Kohlendioxid im Meeresboden und geologischen Formationen“, erklärt Professorin Dr. Katja Matthes, Direktorin des GEOMAR. „Im Dialog mit der Politik und anderen Stakeholdern bringen wir unsere Expertise zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme ein. Mit den jetzt veröffentlichten Eckpunkten ist der Weg im Kampf gegen den Klimawandel skizziert, und wir bleiben sehr gern auch bei den folgenden Schritten involviert.“