In vielen Meeresbereichen ist, wie auch an Land, die Biodiversität im Rückgang begriffen, wie hier in der Karibik. Foto: T. Reusch, GEOMAR

Neue Rahmenvereinbarung zum Schutz der biologischen Vielfalt

- Forschende warnen: genetische Vielfalt bleibt unberücksichtigt -

05.03.2020/Kiel. Im Januar veröffentlichte das Sekretariat der Convention on Biological Diversity (CBD), eine UN-Organisation, den ersten Entwurf für eine globale Rahmenvereinbarung zum Schutz der biologischen Vielfalt nach 2020. In einem jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Science veröffentlichten Artikel warnen Wissenschaftler mehrerer Universitäten und Forschungsinstitute aus aller Welt, darunter auch vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, dass die in diesem Dokument vorgeschlagenen Ziele und Indikatoren die genetische Vielfalt - den Grundstein der Evolution und der gesamten biologischen Vielfalt - vernachlässigen.

Die biologische Vielfalt auf unserem Planeten ist bedroht und geht unter anderem ob intensiver Landnutzung, Verschmutzung und durch den Klimawandel sowohl an Land wie auch in den Ozeanen zum Teil dramatisch zurück. Für viele Funktionen von Ökosystemen wie die Produktion von Biomasse und damit auch Nahrung für den Menschen ist eine hohe biologische Vielfalt aber von essentieller Bedeutung. Deshalb beschäftigt sich auch die Convention on Biological Diversity (CBD), ein internationales Bündnis im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) mit dieser Fragestellung. Der jetzt von der CBD veröffentlichte Entwurf für eine internationale Rahmenvereinbarung zum Schutz der biologischen Vielfalt ist aber bei vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf Kritik gestoßen, die diese jetzt in einem in der Fachzeitschrift Science veröffentlichten, offenen Brief äußern.

„Generell begrüßen wir den durch die CBD angestoßenen Prozess“, sagt Prof. Dr. Thorsten Reusch, Leiter des Forschungsbereichs Marine Ökologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Ko-Autor der Studie. Allerdings, so Reusch, wird die entscheidende Rolle der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten für die Widerstandsfähigkeit des Ökosystems, das Überleben der Arten und deren Anpassung in einer sich schnell wandelnden Umwelt im Dokument nicht berücksichtigt. „Weltweite Forschungsergebnisse zeigen, dass die genetische Vielfalt essentiell für die evolutive Anpassung der Organismen und auch für die Entstehung der Artenvielfalt überhaupt ist“, so Prof. Reusch weiter. „Bevor Arten ausstreben ist in der Regel ihre genetische Vielfalt stark reduziert, und daher können Messungen dieser Vielfaltskomponente als Frühwarn-Indikatoren dienen. Insofern ist das gegenwärtige Dokument ein Rückschritt, weil es beinahe ausschließlich die Artenvielfalt im Vordergrund sieht“, so der Kieler Meeresbiologe. 

Das von der CBD veröffentlichte Rahmendokument beschreibt die dringende Notwendigkeit, den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2030 zu stoppen und bis 2050 im Einklang mit den natürlichen Ökosystemen und ihrer biologischen Vielfalt zu leben. Neue konkrete Ziele und Verpflichtungen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt für die Zeit nach 2020 werden derzeit von Regierungen und nichtstaatlichen Akteuren diskutiert, über die dann im Oktober 2020 entschieden werden soll. 

Das neue Rahmendokument der CBD soll den Ländern als Richtschnur für ihre Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt und zur Bewertung ihrer Fortschritte dienen. Es legt mehrere Ziele fest: Schutz von Ökosystemen, Arten und Genen, sowie die Förderung der nachhaltigen Entwicklung und Gewährleistung einer gerechten Aufteilung der Vorteile, die sich aus der Nutzung der biologischen Vielfalt und des traditionellen Wissens ergeben. Die Erhaltung der genetischen Vielfalt ist zwar prinzipiell eingeschlossen; die Forschenden kritisieren jedoch, dass sich die Vielfaltsindikatoren bisher nur auf domestizierte und kultivierte Arten beschränken und nicht auf wildlebende Populationen. Sie empfehlen dringend, das Dokument so zu erweitern, dass die genetische Vielfalt aller Arten und damit ihr Anpassungspotenzial erhalten bleibt. Thorsten Reusch: „Wir kritisieren aber nicht nur, sondern machen in unserer Publikation auch konkrete Vorschläge, wie verbesserte Indikatoren genetisch wirksame Populationsgrößen anzeigen und das Risiko der genetischen Erosion verringern können, wie dies beispielsweise heute in vielen übernutzten Fischbeständen zu finden ist“.

Originalarbeit:

Laikre, L., S. Hoban, M. W. Bruford, G. Segelbacher, F. W. Allendorf, G. Gajardo, A. González Rodríguez, P. W. Hedrick, M. Heuertz, P. A. Hohenlohe, R. Jaffé, K. Johannesson, L. Liggins, A. J. MacDonald, P. Orozco-ter Wengel, T. B. H. Reusch, H. Rodríguez-Correa, I.-R. M. Russo, N. Ryman, and C, Vernesi, 2020: Post-2020 goals overlook genetic diversity, Science, doi: 10.1126/science.abb2748.

 

In vielen Meeresbereichen ist, wie auch an Land, die Biodiversität im Rückgang begriffen, wie hier in der Karibik. Foto: T. Reusch, GEOMAR