Neue Untersuchungen bestätigen Munitionsbelastung in der Ostsee erneut
Wie kommen wir jetzt vom Wissen zum Handeln?
Der Meeresboden der westlichen Ostsee ist in großen Gebieten durch Altmunition belastet, die insbesondere nach Ende des 2. Weltkrieges dort versenkt wurde. Bei einer im Herbst 2020 unter der Leitung der GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel durchgeführten Expedition (AL548) wurden die munitionsbelasteten Gebiete in der westlichen Ostsee erneut untersucht. Ähnlich wie schon im Oktober 2018 wurden von Bord des Forschungsschiffes ALKOR umfangreiche Wasserproben genommen, um die Belastung mit krebserregenden Sprengstoffsubstanzen zu ermitteln. Hierbei kam erstmals auch ein Echtzeit-Analysesystem zum Einsatz, das im Rahmen des EU-finanzierten Projektes ExPloTect am GEOMAR entwickelt wird (www.explotect.eu). Darüber hinaus hatte die Fahrt das Ziel, Methoden zur Objekt-Verifizierung mittels autonomer Unterwasserfahrzeuge (AUVs) zu testen. Um große Ansammlungen von Minen und versenkten Munitionskisten sichtbar zu machen, wurden Meeresboden-Fotomosaike von mehreren 1000 m² Größe generiert. Zudem wurden an Verdachtspunkten gezielt magnetische Messungen durchgeführt. Beides erwies sich als sehr erfolgreich, wobei die zügige und erfolgreiche Implementierung der magnetischen Sensoren auf dem AUV LUISE selbst die im Projekt BASTA (www.basta-munition-eu) arbeitenden Forscher überraschte: „Das wir so schnell eine Implementierung ohne störende Einflüsse durch die Antriebe des AUVs hinbekommen haben und aussagekräftige Messungen machen konnten, hat uns sehr gefreut“, so Projektmitarbeiter Dr. Marc Seidel vom GEOMAR. Hierbei wurde das Projekt durch eine Leihgabe von Magnetometern der Firma Sensys GmbH unterstützt.
„Die Fahrt AL548 war für die technologischen Ziele der beiden Projekte BASTA und ExPloTect sehr erfolgreich“, sagte Fahrtleiter Professor Dr. Jens Greinert. „Zudem haben wir insbesondere in der Lübecker Bucht erhebliche Mengen an Munition gefunden, die außerhalb bekannter Belastungsflächen liegt. Damit konnten wir erneut nachweisen, dass die auf Seekarten vermerkten Gebiete nicht vollständig sind“, so Greinert weiter. Zur Ausfahrt AL548 und den dabei erzielten ersten Ergebnissen sendet ARTE am 19. Januar 2021 um 19:40 eine Reportage.
Wie geht es nun weiter? Derzeit werden am GEOMAR weitere Projektanträge zum Thema Munition im Meer vorbereitet. So befinden sich die Anträge ProBaNNt (KI-basierte Evaluation von Räummethoden) und AMMOTRACE (In-situ Sprengstoffanalyse) in der finalen Bewilligungsphase. Ein Antrag zur Entwicklung eines Räum- und Zwischenaufbewahrungssystems wird in Kürze unter dem Namen CLEAR mit der SeaTerra GmbH in Seevetal eingereicht. Ziel ist es, eine umweltverträgliche Technologie für die Räumung von Munitionsversenkungsgebieten zu entwickeln. „Wenn der Antrag bewilligt wird, sind wir zuversichtlich in zwei Jahren mit einer ersten echten Testräumung in der Kolberger Heide zu starten“, so Dieter Guldin von SeaTerra.
Zusammen mit dem Thünen-Institut, dem Institut für Ostseeforschung, der Universität Rostock, dem Umweltbundesamt, dem Alfred-Wegener-Institut, Senckenberg am Meer, dem Global Climate Forum, dem Toxikologischen Institut der Universität Kiel und der Kieler Firma EGEOS GmbH plant das GEOMAR ein weiteres Projekt, um die ökologischen Auswirkungen durch die chemische Belastung der Munition in Ost- und Nordsee zu bestimmen.
Nach Ansicht von Professor Greinert hat sich Kiel als zentraler Hub für die deutsche Forschung zu Munition im Meer etabliert und wird so auch von Politik und Behörden wahrgenommen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass dort auch die erste internationale ‚Kiel Munition Clearance Week‘ im September 2021 stattfinden soll. „Meine Vision ist eine altlastenfreie Ostsee bis 2050“, sagt Jann Wendt, Geschäftsführer der EGEOS GmbH und Initiator der Konferenz. „Die Technik dazu ist bereits heute auf den Reißbrettern der Industrie verfügbar. Woran es momentan noch scheitert, ist der politische Wille und damit die Finanzierung und Umsetzung. Auf unserer Konferenz wollen wir ganz konkrete Lösungsvorschläge erarbeiten, um die Munition großflächig und dabei umweltschonend, kostengünstig und sicher zu räumen“, so Wendt.
„Auch das GEOMAR möchte sich weiter für dieses Thema stark engagieren und den Standort Kiel mit dem GEOMAR als wichtigem wissenschaftlichen und koordinierenden Zentrum etablieren“, sagt GEOMAR-Direktorin Professorin Katja Matthes.