Baumkurre im Einsatz in der Nordsee. Foto: AWI; Hermann Neumann (Thünen-Institut für Seefischerei)

Auftakt zur sustainMare-Jahrestagung an der Uni Kiel zu Zukunftsthemen der Nord- und Ostsee: Karin Prien (4.v.l.), Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, CAU-Präsidentin Prof. Simone Fulda (5.v.r.), Tobias Goldschmidt (4.v.r.), Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein (MEKUN), Prof. Corinna Schrum (3.v.r.) vom Helmholtz-Zentrum Hereon, Sprecherin der DAM-Forschungsmission sustainMare und Leiterin des sustainMare-Projektes CoastalFutures, Dr. Joachim Harms (2.v.r.), Vorsitzender des DAM-Vorstands, im Kreis der Projektleitenden und Organisatorinnen und Organisatoren der Konferenz. Foto: Jürgen Haacks (Uni Kiel)

Im Projekt CONMAR, das Professor Dr. Jens Greinert vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel leitet, wird zum Thema Munition im Meer geforscht. Foto: Ilka Thomsen (GEOMAR)

Nord- und Ostsee im Spannungsfeld von Meeresnutzung und Meeresschutz

Jahrestagung der DAM-Forschungsmission sustainMare an der Uni Kiel stellt Handlungswissen für Politik und Gesellschaft in den Mittelpunkt

In der Forschungsmission „Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume - sustainMare" der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM) forschen erstmals 280 Wissenschaftler:innen aus 28 Institutionen und 40 Arbeitsgruppen gemeinsam in sieben Projekten zu Zukunftsthemen der Nord- und Ostsee. An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) trafen sich jetzt mehr als 170 Wissenschaftler:innen sowie Vertreter:innen verschiedener Interessengruppen zu einer Konferenz, um die ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Nutzung von Nord- und Ostsee zu diskutieren.

Die Nordsee und die Ostsee und ihre Küsten beherbergen eine einzigartige Vielfalt an Lebewesen. Der Druck auf diese Lebensräume steigt allerdings. Der Klimawandel und der für die kommenden Jahre geplante Ausbau der Offshore-Energiegewinnung werden die Nord- und Ostsee stark verändern. In dieser Situation benötigen wir neue Maßnahmen zum Schutz der Natur und den Erhalt der biologischen Vielfalt. Ansprüche, beispielsweise aus der Industrie, der Fischerei, dem Tourismus oder der Landwirtschaft müssen mit europäischen Naturschutzabkommen wie der Biodiversitätsstrategie 2030 oder politischen Vorgaben zum Ausbau der Offshore-Windenergie in Einklang gebracht werden. In diesem komplexen Spannungsfeld gilt es, Handlungswissen für Politik und Gesellschaft bereitzustellen, das zu einem nachhaltigen Umgang mit dem Meeresraum und seinen Ökosystemleistungen bei gleichzeitiger Mehrfachnutzung beitragen kann. Erstmals forschen dazu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 28 Partnerinstitutionen interdisziplinär und transdisziplinär mit Expertinnen und Experten aus der Praxis in der Forschungsmission „Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume - sustainMare" der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM). Heute (Mittwoch, 30. August) beginnt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) die zweite Jahrestagung der Mission, an der mehr als 170 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Interessengruppen teilnehmen.

Karin Prien, Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, begrüßte die Teilnehmenden zu Beginn der Konferenz: „Der Schutz der Meere und der Küstenregionen ist nicht nur für Norddeutschland, sondern für die gesamte Welt von hoher Relevanz und der Arbeit der Forscherinnen und Forscher auf diesem Gebiet kann nicht genug Bedeutung beigemessen werden. Ich bin stolz darauf, dass sich das Land Schleswig-Holstein durch die Förderung der DAM inklusive der Forschungsmissionen aktiv beteiligen kann.“

Der Vorsitzende der DAM, Dr. Jochen Harms, betont zusätzlich: „Unsere größte Herausforderung ist, die unterschiedlichen Nutzungsinteressen mit dem Schutz unserer beiden Meere in Einklang zu bringen – um sie auch für künftige Generationen als Lebensgrundlage zu bewahren. Wissenschaftliche Erkenntnisse dafür zu erarbeiten, steht im Fokus der Mission sustainMare.“

Erhöhter Forschungsbedarf durch massive Veränderungen im System Nord- und Ostsee

„Die Nord- und Ostsee werden sich in den nächsten 25 Jahren gravierend verändern. Nicht nur die Folgen des Klimawandels werden die die Regionen weiter belasten. Auch die verstärkte Nutzung durch Industrie, Schifffahrt, Militär und für die Energieerzeugung wird sich massiv auf die Ökosysteme auswirken. Das ist eine Herausforderung für die Fischerei und den Meeresschutz, aber auch für die Forschung. Unser Verständnis der Systeme Nordsee und Ostsee wie wir sie kennen wird durch diese Veränderungen an Bedeutung verlieren und neue Forschungsfragen werden aufgeworfen, die nur im breiten Verbund der wissenschaftlichen Institutionen bearbeitet werden können“, sagt Professorin Corinna Schrum vom Helmholtz-Zentrum Hereon und Sprecherin der DAM-Forschungsmission sustainMare.

Forschende ziehen Bilanz aus den Ergebnissen von insgesamt sieben Projekten

Im Rahmen der dreitägigen Konferenz werden nun die ersten Ergebnisse nach eineinhalb Jahren Forschung von insgesamt fünf Verbundprojekten und zwei Pilotmissionen zusammengetragen und die Weichen für die zukünftige wissenschaftliche Agenda gestellt. Dabei konzentrieren sich die Forscherinnen und Forscher auf drei thematische Schwerpunkte: Biodiversität und die Auswirkungen anthropogener Belastungen und Nutzungen auf marine Ökosysteme, Schadstoffbelastungen mit dem Schwerpunkt auf Munitionsaltlasten aus den Weltkriegen sowie die Entwicklung von Modellierungsinstrumenten zur Erstellung von Zukunftsszenarien, insbesondere unter Berücksichtigung der Klimaveränderungen und des Nutzungsdrucks durch Offshore-Windenergie, Fischerei oder Sedimentmanagement.

Gerade im Hinblick auf die zunehmende Mehrfachnutzung von Nord- und Ostsee ist es wichtig, solche Modelle zu entwickeln, in denen klassische Auswertungsmethoden durch neue molekulare und semi-autonome Methoden ergänzt werden. Ziel ist es, Lücken in der Datenerhebung zu schließen, um wissensbasierte Managementoptionen abzuleiten.

Transdisziplinärer Forschungsansatz mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft

Dafür wählt sustainMare einen besonderen Ansatz: Akteure aus Politik und Behörden, aus Fischerei, Tourismus, Umweltverbänden und Wirtschaft werden aktiv in die Forschung eingebunden. Dabei setzen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf etablierte transdisziplinäre Methoden wie Reallabore und Dialogformate, um Fragestellungen und Ergebnisse mit betroffenen Stakeholdern hin zu tragfähigen Konzepten weiterzuentwickeln. So wurden beispielsweise für die Zukunft der Küstenfischerei in der westlichen Ostsee Reallabore in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern aufgebaut. „Die Küstenfischerei ist ein Nahrungslieferant und ein wichtiges Kulturgut in Norddeutschland. Sie soll möglichst erhalten bleiben. Mit dem Instrument der Reallabore wächst der Austausch zwischen den Akteuren und das gemeinsame Verständnis über die Funktionsweise des Ökosystems, aber auch über die Rolle der Küstenfischerei für die lokalen Gemeinschaften. Gemeinsam können wir hier lokale Lösungsansätze für eine nachhaltige Fischerei entwickeln und ausprobieren“, erklärt CAU-Professorin Marie-Catherine Riekhof, Mitorganisatorin der sustainMare-Tagung.

Auch in der Nordsee werden die Mehrfachnutzungen und die Biodiversität in Meeresschutzgebieten mit einem Reallabor-Ansatz und mit neuartigen Methoden erforscht, die nicht mehr in die Ökosysteme eingreifen. Indikatoren zur Bewertung des ökologischen Zustands von Küstenökosystemen und deren Anwendung in der Naturschutzpraxis werden darüber hinaus in den Nationalparks Schleswig-Holsteins und Niedersachsens entwickelt.

Akutes Umweltproblem: Bergung von Nachkriegsmunition

Ein akutes Umweltproblem, auf das die Mission ihr Augenmerk richtet, sind die erheblichen Munitionsaltlasten, die in der deutschen Nordsee und Ostsee nach dem Zweiten Weltkrieg verklappt wurden. Auch hier wurde im Rahmen der Forschungsmission sustainMare ein transdisziplinärer Ansatz gewählt. „Der Handlungsdruck ist groß. Die Munition liegt dort teilweise seit mehr als 100 Jahren im Salzwasser, so dass sich die Metallhüllen zersetzen. Wir konnten Schadstoffe wie TNT in marinen Lebewesen nachweisen. Es gibt bereits weit fortgeschrittene Konzepte für die Beseitigung der Nachkriegsmunition, die nun in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen. Glücklicherweise existiert ein breiter gesellschaftlicher und politischer Konsens darüber, endlich mit der Problemlösung zu beginnen“, sagt Professor Jens Greinert vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Mitorganisator der Jahrestagung.

Erstmalig ganzheitlicher Zustand von Schutzgebieten in Nord- und Ostsee erfasst

Wertvolle Erkenntnisse für die gesamte Mission sustainMare wurden zudem in den beiden Pilotmissionen „Ausschluss mobiler, grundberührender Fischerei in Schutzgebieten der Deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von Nord- und Ostsee“ gewonnen. Hierbei ist die zentrale Frage, wie sich ein Ausschluss der Schleppnetzfischerei auf die Lebensgemeinschaften, die Beschaffenheit des Meeresbodens, die Biogeochemie der Sedimente und auf die Austauschprozesse zwischen Sediment und Wassersäule auswirken wird. Erstmalig wurde dafür ein ganzheitlicher Basiszustand der Schutzgebiete erfasst, um verfolgen zu können, wie sich Ökosysteme ohne Schleppnetzstörung entwickeln. Auf der Grundlage dieser Datenerhebung wird nun mit neuen und traditionellen Methoden ein Monitoring entwickelt, das dazu beiträgt, Zustandsveränderungen rechtzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Folgen mehrfacher Nutzung der Küstengewässer im Fokus zukünftiger Forschung

Die Energiewende und besonders die Notwendigkeit der Sicherung der Energieerzeugung hat im vergangenen Jahr zu einer erheblichen Beschleunigung des Ausbautempos der Offshore-Energiegewinnung geführt. Das ist eine Entwicklung, der sich die Forschungsmission sustainMare nicht verschließen kann. Schon heute sind Auswirkungen auf die Strömungsverhältnisse und den Meeresboden sowie Veränderungen der Lebensräume für Fische, Meeressäuger oder Seevögel zu beobachten. Die Folgen der intensiven Nutzung unserer Küstengewässer, die Untersuchung von wirksamen Schutzkonzepten und Konzepten zur besseren Ausnutzung des Meeresraumes werden deshalb im weiteren Verlauf der Forschungsmission noch zentraler für die Forschung werden.

 

Über sustainMare
In der Forschungsmission „sustainMare - Schutz und nachhaltige Nutzung mariner Räume“ der DAM untersuchen rund 250 Forschende in zwei Pilot- und fünf Verbundprojekten, wie zukünftig eine nachhaltige Nutzung bei gleichzeitigem Schutz der Meere gewährleistet werden kann. Durch inter- und transdisziplinäre Forschungsansätze sollen das Wissen über multiple Stressoren und die Auswirkungen des Klimawandels auf das Ökosystem Meer erhöht und mithilfe von Zukunftsszenarien konkrete Handlungsempfehlungen für und mit verschiedenen Zielgruppen erarbeitet werden. Übergreifend koordiniert wird sustainMare am Helmholtz-Zentrum Hereon. Seit Dezember 2021 wird sustainMare in seiner ersten dreijährigen Phase vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 25 Mio. Euro gefördert. Die DAM erarbeitet mit ihren 22 Mitgliedseinrichtungen lösungsorientiertes Wissen und Handlungsoptionen für einen nachhaltigen Umgang mit den Küsten, Meeren und dem Ozean.

Die sustainMare-Forschungsmission ist eine Aktivität im Rahmen der UN Ozeandekade für Ozeanforschung und Teil des Dekadenprogramms „smartNet“. Die sustainMare-Konferenz ist gleichzeitig als Veranstaltung unter dem Dach des „European Maritime Day in my Country“ anerkannt, einer Kampagne der Europäischen Kommission zu Stärkung des Meeresschutzes als auch der wirtschaftlichen Bedeutung der Meere für eine nachhaltige Blaue Wirtschaft in Europa.

Über die Deutsche Allianz Meeresforschung
Die Deutsche Allianz Meeresforschung (DAM) wurde 2019 vom Bund und den norddeutschen Ländern gegründet, um den nachhaltigen Umgang mit Küsten, Meeren und dem Ozean zu stärken. Mit ihren 24 Mitgliedseinrichtungen und den eigenen Forschungsmissionen CDRmare und sustainMare erarbeitet die DAM lösungsorientiertes Wissen und vermittelt Handlungsoptionen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Sie wird vom Bund, vertreten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), und den norddeutschen Bundesländern Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gefördert.

Fischerboot, das sein Netz ausbringt

Baumkurre im Einsatz in der Nordsee. Foto: AWI; Hermann Neumann (Thünen-Institut für Seefischerei)

Eine Gruppe Menschen in einem Hörsaal

Auftakt zur sustainMare-Jahrestagung an der Uni Kiel zu Zukunftsthemen der Nord- und Ostsee: Karin Prien (4.v.l.), Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, CAU-Präsidentin Prof. Simone Fulda (5.v.r.), Tobias Goldschmidt (4.v.r.), Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur des Landes Schleswig-Holstein (MEKUN), Prof. Corinna Schrum (3.v.r.) vom Helmholtz-Zentrum Hereon, Sprecherin der DAM-Forschungsmission sustainMare und Leiterin des sustainMare-Projektes CoastalFutures, Dr. Joachim Harms (2.v.r.), Vorsitzender des DAM-Vorstands, im Kreis der Projektleitenden und Organisatorinnen und Organisatoren der Konferenz. Foto: Jürgen Haacks (Uni Kiel)

Ein Mann spricht eindringlich an einem Pult mit Mikrophon

Im Projekt CONMAR, das Professor Dr. Jens Greinert vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel leitet, wird zum Thema Munition im Meer geforscht. Foto: Ilka Thomsen (GEOMAR)