Auf einer Experimentierplatte lässt sich beobachten, wie die Seepocken auf extreme Umweltbedingungen, zum Beispiel Ozeanversauerung, reagieren. Foto: Christian Pansch, GEOMAR
Dr. Christian Pansch, Erst-Autor der Studie, hat sich auch mit einer Seepocken-Population in Westschweden beschäftigt. Foto: Giannina Hattich

Ostsee „trainiert“ marine Lebewesen für den Klimawandel

Seepocken in Kieler Förde zeigen hohe Stresstoleranz gegenüber Ozeanversauerung

04.03.2014/Kiel. Die Ostsee ist ein Meer der Extreme. Sauerstoffgehalt, pH-Wert und Temperaturen können innerhalb von Wochen oder sogar Tagen stark schwanken. Sind Organismen, die hier leben, besser auf den Klimawandel vorbereitet als andere? Dieser Fragestellung widmeten sich Meereswissenschaftler aus Kiel. Dabei fanden sie heraus, dass Seepocken aus der Kieler Förde wesentlich besser mit zukünftigen Umweltbedingungen umgehen können als ihre Artgenossen aus weniger „stressigen“ Habitaten. Die Ergebnisse ihrer Studie publizieren die GEOMAR-Forscher jetzt in der März-Ausgabe der Fachzeitschrift „Global Change Biology“.

Unsere Ozeane werden immer „saurer“. Aber was ist das eigentlich, die sogenannte Ozeanversauerung? Weil die Kohlendioxid (CO2)-Emissionen weltweit steigen, nimmt auch der Ozean immer mehr CO2 aus der Atmosphäre auf. Es reagiert mit dem Meerwasser zu Kohlensäure und der pH-Wert im Meerwasser sinkt. Hierdurch können im Extremfall auch die Kalkschalen von Tieren angegriffen werden. Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf bestimmte Organismen haben kann, die im Ozean leben, untersuchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt. Einer davon ist Dr. Christian Pansch. Der Meeresbiologe beschäftigte sich im Rahmen seiner Doktorarbeit am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel unter der Betreuung von Prof. Martin Wahl mit Seepocken (Balanidae) aus der Kieler Förde und aus den Fjorden Westschwedens. Dabei fand er heraus, dass verschiedene Populationen einer Art verschieden gut auf zukünftige Umweltveränderungen vorbereitet sind – je nachdem wo sie vorkommen. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichen die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift Global Change Biology.

Das Besondere an der Kieler Förde ist, dass dort die Konzentration des Kohlendioxids jetzt schon teilweise so hoch ist, wie Klimaforscher sie für die offenen Ozeane in mehr als einhundert Jahren voraussagen. „Der Grund dafür ist die geringere Pufferkapazität der süßeren Ostsee und ihre sommerliche Schichtung“, erklärt Dr. Pansch. „In tieferen Schichten verbrauchen Organismen aufgrund der Nährstoffübersättigung sehr viel Sauerstoff und produzieren dabei Kohlendioxid. Das CO2 reichert sich dort an, der pH-Wert wird durch das süßere Ostseewasser nicht abgepuffert und dieses saure Wasser steigt gelegentlich auf.“ In der Kieler Förde zum Beispiel wird bei starkem Südwestwind das Oberflächenwasser aus der Förde herausgedrückt und das angesäuerte Wasser aus der Tiefe gelangt nach oben. Die Umweltbedingungen schwanken hierdurch auch für viele Flachwasserorganismen extrem, nicht nur in Hinsicht auf Salzgehalt und Temperatur, sondern auch im Hinblick auf den pH-Wert des Wassers. Deshalb sind einige Organismen, wie die Seepocken, den prognostizierten Umweltbedingungen gelegentlich bereits heute ausgesetzt.

Für ihre Studien setzten die Wissenschaftler Seepocken verschiedenen CO2-Konzentrationen aus. Dabei verglichen sie Seepocken aus der Kieler Förde mit einer Population aus der chemisch stabileren Schärenwelt von Tjärnö vor der Westküste Schwedens. Sie erfassten Wachstum, Vermehrung, Sterberate und Aussehen der Tiere. „Die Tiere aus der Förde, die ohnehin mit schwankenden CO2-Konzentrationen klarkommen müssen, reagierten recht unempfindlich auf die Zukunftsszenarien“, sagt Prof. Dr. Martin Wahl, Co-Autor der aktuellen Studie. „Die Schalen der Seepocken litten bei sehr hohen Konzentrationen zwar etwas, aber das waren rein äußerliche Merkmale“, so Christian Pansch. Wachstum, Fortpflanzung und Sterberate zeigten keinerlei Veränderungen.
Die Stresstoleranz der schwedischen Seepocken erwies sich als relativ niedrig, ganz im Gegensatz zu der ihrer Kieler Artgenossen. „Gerade weil die Seepocken aus Tjärnö nicht unter so variierenden Umweltbedingungen leben, sind sie vermutlich sehr viel anfälliger gegenüber Veränderungen“, so Professor Wahl. In den Versuchen wuchsen sie nicht mehr in dem Maße wie gewöhnlich und es starben mehr Individuen.

Dr. Pansch fasst zusammen: „Im Vergleich mit den Balanidae aus Tjärnö sind die Seepocken aus der Kieler Förde sehr viel besser für die Zukunft trainiert“. Im Moment arbeitet der Biologe an der Universität Göteborg in Schweden, aber ab dem 01. Oktober diesen Jahres wird er im Rahmen einer von der Helmholtz-Gemeinschaft finanzierten Postdoc-Stelle wieder in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Wahl forschen. Das Team wird sich dann mit der Fragestellung beschäftigen, inwieweit solche Schwankungen von CO2- und Sauerstoff-Konzentrationen in verschiedenen Habitaten der Nord- und Ostsee auftreten und inwieweit diese verschiedenste Organismen auf die Zukunft der Meere vorbereiten.

Originalarbeit:
Christian Pansch, Iris Schaub, Jonathan Havenhand, Martin Wahl: Habitat traits and food availabil-ity determine the response of marine invertebrates to ocean acidification. Global Change Biology (2014), http://dx.doi.org/10.1111/gcb.12478


Bildmaterial in höherer Auflösung:
Die kleinen Seepocken aus der Kieler Förde sind bestens für den Klimawandel vorbereitet. Foto: Christian Pansch, GEOMAR
Auf einer Experimentierplatte lässt sich beobachten, wie die Seepocken auf extreme Umweltbedingungen, zum Beispiel Ozeanversauerung, reagieren. Foto: Christian Pansch, GEOMAR
Dr. Christian Pansch, Erst-Autor der Studie, hat sich auch mit einer Seepocken-Population in Westschweden beschäftigt. Foto: Giannina Hattich

 

Ansprechpartner:
Jan Steffen (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel.: 0431 600-2811, jsteffen(at)geomar.de 
 

Auf einer Experimentierplatte lässt sich beobachten, wie die Seepocken auf extreme Umweltbedingungen, zum Beispiel Ozeanversauerung, reagieren. Foto: Christian Pansch, GEOMAR
Auf einer Experimentierplatte lässt sich beobachten, wie die Seepocken auf extreme Umweltbedingungen, zum Beispiel Ozeanversauerung, reagieren. Foto: Christian Pansch, GEOMAR
Dr. Christian Pansch, Erst-Autor der Studie, hat sich auch mit einer Seepocken-Population in Westschweden beschäftigt. Foto: Giannina Hattich
Dr. Christian Pansch, Erst-Autor der Studie, hat sich auch mit einer Seepocken-Population in Westschweden beschäftigt. Foto: Giannina Hattich