Studentin Lindsay Scheidemann setzt Blasentang in eine der Versuchskammer der Kieler Benthokosmen-Anlage. Foto: Jan Steffen/GEOMAR
Prof. Dr. Martin Wahl (GEOMAR) bei der Vorbereitung des neuen Benthokosmen-Langzeitexperiments. Foto: Jan Steffen/GEOMAR

Plötzliche Atemnot im Küstengebiet

Neues Langzeitexperiment in den Benthokosmen an der Kiellinie

09.05.2018/Kiel. Zahllose tote Fische bedeckten Mitte September 2017 fast von einem Tag auf den anderen die Strände in der Flensburger Förde, in der Kieler Förde und in der Eckernförder Bucht. Anhaltender Südwestwind hatte sauerstoffarmes Wasser aus den tieferen Schichten der Ostsee nach oben und in die schmalen Meeresarme gedrückt. Für die Fische dort gab es kein Entrinnen – sie erstickten.

Wenn Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche gelangt, bezeichnet die Forschung das als „Upwelling“. In den Ozeanen kurbelt der Prozess oft die biologische Produktion an, weil das Tiefenwasser sehr nährstoffreich ist. In der Ostsee sorgt Upwelling dagegen immer wieder für massenhaftes Fischsterben, weil die tieferen Wasserschichten im Sommer sauerstoffarm sind. Doch welche Bedeutung haben diese Ereignisse für die Küstenökosysteme? Wie schnell können sie sich erholen? Welche Arten profitieren vielleicht sogar davon? Und wird sich dieses Problem mit der Ozeanerwärmung vielleicht noch verschärfen? Diesen Fragen geht ein neues Langzeitexperiment in der Benthokosmen-Versuchsanlage des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel an der Kiellinie nach, das in dieser Woche startet.

Die für Spaziergänger an der Uferpromenade gut einsehbare Anlage besteht aus sechs Becken auf einem Ponton. Die Becken sind in insgesamt 12 Versuchskammern unterteilbar. In den Kammern halten die Forschenden der GEOMAR-Arbeitsgruppe Benthosökologie (Benthos: die auf dem Meeresboden lebende Artengemeinschaft) typische Arten, wie sie vor den Küsten Schleswig-Holsteins vorkommen: verschiedene Arten von Großalgen, Meeresasseln, Flohkrebsen, Schnecken, und Muscheln. Dank einer komplexen Steuertechnik können gleich mehrere Umweltparameter wie Temperatur, Salzgehalt oder auch der Säuregrad in den Kammern beeinflusst werden. So simulieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Auswirkungen von prognostizierten Umweltveränderungen auf ganze Küsten-Lebensgemeinschafen.

„Wir speisen die Becken direkt mit Wasser aus der Förde. Das heißt, wir bilden alle natürlichen Schwankungen zwischen Tageszeiten, aber auch zwischen Jahreszeiten ab“, erklärt der Arbeitsgruppenleiter Prof. Dr. Martin Wahl vom GEOMAR. Auf die natürlichen Schwankungen kommen dann während der Experimente entsprechende Werte, zum Beispiel bei den Temperaturen, oben drauf.

In diesem Jahr wollen die GEOMAR-Forscher, Studierende und international Gäste neben der Erwärmung zusätzlich auch Upwelling-Ereignisse in den Benthokosmen simulieren, um deren Auswirkungen besser zu verstehen. „Ereignisse wie das Fischsterben im vergangenen Jahr haben eine natürliche Ursache. Aber sie könnten sich bei zunehmender Erwärmung intensivieren“, erklärt Professor Wahl, „wir wollen wissen, welche Konsequenzen das für die Lebensgemeinschaften an unseren Küsten haben wird.“

Das Experiment läuft bis Ende September. Im Juni und August sind die Upwelling-Ereignisse in den Versuchbecken geplant. Dafür haben sich schon Arbeitsgruppen aus Australien, Iran, Oman, Portugal und Kanada angemeldet, die eigene Fragestellungen innerhalb des Gesamtversuchs beantworten wollen. „Es gibt nur drei dieser Benthokosmen-Anlagen  weltweit, die alle unter GEOMAR-Regie gebaut wurden. Daher ist das Interesse bei Kolleginnen und Kollegen weltweit groß“, betont Professor Wahl.

Studentin Lindsay Scheidemann setzt Blasentang in eine der Versuchskammer der Kieler Benthokosmen-Anlage. Foto: Jan Steffen/GEOMAR
Prof. Dr. Martin Wahl (GEOMAR) bei der Vorbereitung des neuen Benthokosmen-Langzeitexperiments. Foto: Jan Steffen/GEOMAR