Dr. Sebastian Hennige, Prof. Murray Roberts und Dr. Armin Form sichten die mit JAGO gewonnenen Proben. Foto: Karen Hissmann, JAGO-Team, GEOMAR
Das Forschungsschiff POSEIDON und Tauchboot JAGO im norwegischen Trondheimfjord. Foto: Karen Hissmann, JAGO-Team, GEOMAR
JAGO wird nach einem Tauchgang zurück an Bord der POSEIDON gebracht. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR
Ein hellgelbes Gorgonenhaupt besucht das Riff aus Gorgonien und Steinkorallen. Foto: JAGO-Team, GEOMAR
Die Steinkoralle Lophelia pertusa (hier der weiße Typ) bildet die Basis ausgedehnter Riffe. Foto: JAGO-Team, GEOMAR

Riff-Baumeister mit Sinn für Harmonie

Kaltwasserkorallen verbinden sich über Verwandtschaftsgrenzen hinweg

30.10.2014/Kiel. Kaltwasserkorallen der Spezies Lophelia pertusa sind in der Lage, Skelett-Verbindungen mit genetisch fremden Artgenossen einzugehen. Auf Fahrten mit dem am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel stationierten Tauchboot JAGO entdeckten Wissenschaftler aus Schottland und Deutschland vor der Norwegischen Küste erstmals verschiedenfarbige Korallenzweige, die nahtlos zusammengewachsen waren. In ihrer Veröffentlichung in den „Scientific Reports“ erklären die Forscher, wie die Fähigkeit zur Verschmelzung die Stabilität der Korallenriffe unterstützt und somit zum Erfolg der Korallen als Riff-Baumeister der Tiefsee beiträgt.

Sie leben in den kalten, dunklen Tiefen der Meere, sind häufig starken Strömungen ausgesetzt und liefern eine stabile Basis für artenreiche und farbenfrohe Ökosysteme: Steinkorallen der Art Lophelia pertusa gelten als hervorragende Riff-Baumeister. Nach den neuesten Erkenntnissen von Forschern der Heriot-Watt Universität Edinburgh, des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel, der Universität Glasgow und des United States Geological Survey verbinden sogar genetisch unterschiedliche Individuen ihre Skelette miteinander. Erste Beobachtungen hierzu machten die Wissenschaftler auf einer Expedition mit dem Tauchboot JAGO und dem Forschungsschiff POSEIDON vor der Küste Mittelnorwegens im September 2011. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt in den „Scientific Reports“.

„Auf unseren Tauchgängen mit JAGO fanden wir Riffe, in denen der orangefarbene und der weiße Typ der Koralle miteinander verschmolzen zu sein schienen“, berichtet Dr. Sebastian Hennige von der Heriot-Watt Universität Edinburgh. „Dieser Anblick fiel mir sofort auf, und wir haben direkt einige Proben für genetische Tests und Skelett-Analysen genommen. Damit konnten wir später beweisen, dass sich tatsächlich Individuen einer Art verbunden hatten, die keine Geschwister sind.“ Aufgrund seiner Erkenntnisse geht Hennige davon aus, dass Lophelia pertusa Vertreter ihrer Art über Verwandtschaftsgrenzen hinweg erkennt.

Bis jetzt wurde angenommen, dass die ausgedehnten Riffe von Geschwistern gebildet wurden. Sie sind jedoch ein Ergebnis der Fusion von genetisch unterschiedlichen Individuen – als ob zwei Menschen, die nah beieinander sitzen, ihre Skelette miteinander verbinden. Diese Fähigkeit unterscheidet Lophelia pertusa stark von tropischen Korallen. Tropische Riffe werden von Kalkalgen zusammengehalten, die die Kruste abgestorbener Zweige bevölkern. Diese Algen sind auf Tageslicht angewiesen. „Kaltwasserkorallen, die ihre Riffe ausschließlich im Dunkeln errichten, können nicht auf eine solche Unterstützung bauen. Sie scheinen aber einen anderen Weg gefunden zu haben, um Stabilität herzustellen,“ erläutert Dr. Armin Form, Meeresbiologe am GEOMAR und Co-Autor der Veröffentlichung. „Entweder die Korallen verschmelzen tatsächlich zu einem gemeinsamen Stock, oder ein Zweig überwächst den anderen, ohne dass der Partner dabei Schaden nimmt.“ Tropische Steinkorallen verhalten sich gegenüber ihren Nachbarn meistens deutlich aggressiver: Sie setzen chemische Stoffe frei, um Kontakt zu anderen Korallen zu verhindern. „Dieses Abwehrverhalten kostet allerdings viel Energie, die dann nicht mehr für andere Funktionen zur Verfügung steht“, so Dr. Form.

„Unsere Entdeckung zeigt nicht nur, wie viel wir noch über die Ökosysteme der Tiefsee zu lernen haben. Sie belegt auch, wie wichtig der technologische Fortschritt ist“, betont Murray Roberts, Professor an der Heriot-Watt Universität Edinburgh. „Die Chance, die Riffe selbst mit dem Tauchboot JAGO zu erkunden, hat uns ganz neue Einblicke beschert und geholfen, die kostbaren Proben direkt mit aufs Schiff und weiter in unsere Labore zu bringen.“

Lophelia pertusa hat im Laufe der Evolution Eigenschaften herausgebildet, mit deren Hilfe sich Energie sparen und die Stabilität im Riff stärken lässt. „Angesichts dieser Flexibilität hoffen wir, dass sie auch mit zukünftigen klimatischen Veränderungen zurechtkommt. Allerdings läuft der globale Wandel derartig schnell ab, dass es fraglich bleibt, ob die Korallen Schritt halten können“, sagt Dr. Armin Form.

Originalveröffentlichung:
Hennige, S.J., Morrison, C. L., Form, A. U., Büscher, J., Kamenos, N. A. and Roberts, J.M., 2014: Self-recognition in corals facilitates deep-sea habitat engineering. Sci. Rep. 4, 6782, doi:10.1038/srep06782.

Links:
Centre for Marine Biodiversity and Biotechnology, Heriot-Watt University, Edinburgh
United States Geological Survey, Leetown Science Center
School of Geographical and Earth Sciences, University of Glasgow
The Scottish Association for Marine Science
University of North Carolina Wilmington

Ansprechpartner:
Maike Nicolai (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel. 0431 600-2807, mnicolai(at)geomar.de

Dr. Sebastian Hennige, Prof. Murray Roberts und Dr. Armin Form sichten die mit JAGO gewonnenen Proben. Foto: Karen Hissmann, JAGO-Team, GEOMAR
Das Forschungsschiff POSEIDON und Tauchboot JAGO im norwegischen Trondheimfjord. Foto: Karen Hissmann, JAGO-Team, GEOMAR
JAGO wird nach einem Tauchgang zurück an Bord der POSEIDON gebracht. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR
Ein hellgelbes Gorgonenhaupt besucht das Riff aus Gorgonien und Steinkorallen. Foto: JAGO-Team, GEOMAR
Die Steinkoralle Lophelia pertusa (hier der weiße Typ) bildet die Basis ausgedehnter Riffe. Foto: JAGO-Team, GEOMAR