ROV KIEL 6000 entdeckt „Klare Raucher“ vor Island
IceAGE3-Expedition liefert faszinierende Bilder vom Meeresboden vor Island
(Gemeinsame Pressemitteilung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel)
Vor 41 Jahren erblickten US-amerikanische Wissenschaftler erstmals natürliche Schlote auf dem Meeresboden, aus denen Schwaden heißer Flüssigkeiten aufstiegen. Weil diese Flüssigkeiten in Tiefen ab 1000 Metern oft sehr dunkel sind, erhielten die heißen Quellen den Spitznamen „Schwarze Raucher“. In der Fachsprache sind sie als Hydrothermalsysteme bekannt und mittlerweile kennt man auch „weiße“ und „klare Raucher“ – je nach Zusammensetzung der austretenden Flüssigkeit. Bis heute ist aber nur ein kleiner Bruchteil aller Hydrothermalquellen auf dem Meeresboden bekannt.
Eine von Senckenberg geleitete Expedition im Rahmen des internationalen IceAGE-Projektes (IceAGE – Icelandic marine Animals: Genetics and Ecology) mit dem deutschen Forschungsschiff SONNE hat jetzt die Liste der bekannten Hydrothermalsysteme um eine Neuentdeckung erweitert. In der vergangenen Woche filmte der bei der Expedition eingesetzte Tiefseeroboter ROV KIEL 6000 des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel erstmals eine Gruppe bislang unbekannter „klarer Raucher“ südwestlich von Island. „Wir hatten von früheren Fahrten Hinweise, dass hier Hydrothermalsysteme am Meeresboden vorkommen. Aber als die Schlote dann im Scheinwerferlicht des ROV auftauchten und seine Kameras die ersten Bilder an Bord übertrugen, war das ein besonderer Moment“, sagt die wissenschaftliche Fahrleiterin Dr. Saskia Brix vom Deutschen Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung bei Senckenberg am Meer in Hamburg.
Das neu entdeckte Hydrothermalsystem liegt in ca. 650 Metern Wassertiefe auf dem sogenannten Reykjanes-Rücken. Das ist ein untermeerischer Gebirgszug, der sich von Island aus rund 1500 Kilometer nach Südwesten erstreckt. Er ist – genauso wie Island selbst – Teil des Mittelatlantischen Rückens, der im Nordatlantik die Grenze zwischen amerikanischer und europäischer Erdplatte markiert.
Aktive Hydrothermalsysteme kommen typischer Weise an Plattengrenzen vor. Dort ist der Meeresboden noch jung und porös. Meerwasser kann tief ins Gestein einsickern. Trifft es auf Magma, wird es sehr stark erhitzt und steigt wieder auf. Dabei wäscht es viele Mineralien aus dem umgebenden Gestein. Tritt das Wasser dann wieder aus dem Meeresboden aus und kommt in Kontakt mit dem nur drei bis vier Grad kalten Meerwasser, fallen diese Mineralien aus. „So bilden sich die dunklen Schwaden, die den Rauchern ihren Namen gegeben haben“, erklärt der Geologe Dr. Friedrich Abegg, Leiter des GEOMAR-ROV-Teams.
Wegen der Mineralien-Ablagerungen rund um die Austrittsstellen werden erloschene Hydrothermalsysteme als mögliche Rohstoffquellen diskutiert. Die aktuelle Expedition ist aber vor allem an den aktiven Systemen interessiert, denn sie bilden in der ewigen Dunkelheit der Tiefsee die Basis für extrem vielfältige Ökosysteme. „An den Hydrothermalquellen tobt das Leben geradezu und es gibt Theorien, dass ähnliche heiße Quellen im Meer sogar der Ursprung des Lebens auf der Erde gewesen sein könnten“, erklärt Dr. Brix.
Die neue Entdeckung beruht auf früheren Untersuchungen in dem Gebiet, bei denen unter anderem 2018 während einer Ausfahrt mit dem FS MARIA S. MERIAN und dem autonomen Unterwasserfahrzeug AUV ABYSS des GEOMAR bereits Hinweise auf das Vorkommen heißer Quellen gefunden worden waren. „Trotzdem war es ein großer Glücksfall, dass wir beim ersten Tauchgang des ROV KIEL 6000 sofort am richtigen Punkt gelandet sind“, betont Dr. Abegg. Die heißen Quellen sollen nun nach dem Projekt den Namen „IceAGE vent field“ erhalten.
Das übergeordnete Ziel der aktuellen IceAGE3-Expedition ist, verschiedene marine Lebensräume rund um Island zu untersuchen. Nach dem Auslaufen am 22. Juni aus Emden hat das Team mit der SONNE zunächst das norwegische Becken nördlich von Island angesteuert. Mit Hilfe des ROV KIEL 6000 und verschiedener anderer Geräte haben die Forscherinnen und Forscher dort Ökosysteme zwischen 4000 und 800 Meter Wassertiefe beobachtet und beprobt. Eine weitere Station waren unter anderem der Färöer-Island-Rücken mit dem Kaltwasserkorallenriff „Lóngsjúp“.
Da wegen der COVID-19-Pandemie weniger Personen als üblich an der Expedition teilnehmen können, kooperiert das Team an Bord per Telepräsenz eng mit Kolleginnen und Kollegen an Land, unter anderem vom isländischen Marine Research and Fishery Institute (MFRI) in Reykjavik sowie dem EU-Projekt iAtlantic. Ein Nebeneffekt: Die Tauchgänge des ROV KIEL 6000 werden live ins Internet gestreamt. „Wer weiß, vielleicht hat der eine oder die andere unsere Entdeckung sogar live mitverfolgt und gar nicht gemerkt, was man dort Besonderes gesehen hat“, sagt Dr. Brix schmunzelnd.
Die SONNE wird am 26. Juli in Emden zurückerwartet.