Tiefsee-Schwammgründe großskalig erforscht
Studie unter GEOMAR-Leitung zeigt, dass der Blick auf größere ökologische Zusammenhänge bei der Untersuchung von Schwamm-Mikrobiomen wichtig ist.
Schwämme gehören zu den evolutionär ältesten Tieren. Während die kleinsten Vertreter nur wenige Millimeter groß sind, hat der größte bekannte Schwamm das Ausmaß eines Kleinbusses. Sie kommen in so genannten Schwammgründen, oder auch Schwammgärten, vor – besonders dicht besiedelte Ökosysteme am Meeresboden, die eine teils hohe Vielfalt an Schwämmen beherbergen. Viele dieser Gründe existieren in mehreren Kilometern Tiefe im Ozean, daher ist eine große Zahl von Arten auch heutzutage noch unbestimmt.
Im Gewebe der Schwämme sind symbiotische Bakteriengemeinschaften vorhanden, die Mikrobiome. Diese unterscheiden sich je nach der Stammesgeschichte des Schwamms, in dem sie leben, stark. Daneben sind es vor allem Umweltfaktoren, die Unterschiede im Mikrobiom begründen – dies ist das Ergebnis einer kürzlich von Wissenschaftlerinnen vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel veröffentlichten Studie im Fachmagazin Nature Communications. So wurden vor allem die Lage der Schwammgründe, die Einflüsse von Temperatur, Salzgehalt, Tiefe, sowie Sauerstoff- und Nährstoffvorkommen auf das jeweilige Schwamm-Mikrobiom als Hauptumweltfaktoren identifiziert. Als Grundlage für diese Analyse diente ein sehr umfassender Datensatz an 24 Umweltparametern. Die vorgestellte Studie stellt die bisher größte existierende Analyse von Mikrobiomen und ihren symbiotischen Partnern in der Tiefsee dar.
„Tiefseeschwämme und ihre symbiotischen Bakterien existieren wahrscheinlich schon seit langer Zeit, vermutlich schon seit hunderten von Millionen Jahren, in gemeinsamer Anpassung an eine dynamische Umwelt“, sagt Dr. Kathrin Busch, Erstautorin der Studie und marine Ökologin am GEOMAR. „Das erklärt möglicherweise einen Teil der großen Vielfalt an noch unbekannten Bakterienklassen und -arten, auf die wir gestoßen sind. Einzelne Schwammgründe, und sogar einzelne Schwamm-Individuen, haben ihre jeweils eigenen Mikrobiome. Dabei ist zu beachten, dass Schwammgründe sensible und hochwichtige Lebensräume in der Tiefsee sind, die unter anderem durch Schleppnetzfischerei gefährdet sind.“ Schwämme werden bei dieser Art der Fischerei oft zu Beifang. Dadurch gehen viele wichtige Funktionen verloren. Gemeinsam mit ihrem Mikrobiom erschließen sie einzigartige ökologische Nischen, filtern das sie umgebende Wasser und liefern mit ihren Stoffwechselprodukten neue Nährstoffe für Lebewesen in der Tiefsee.
„Da die mikrobiellen Gemeinschaften auch als Indikator für die Gesundheit von Schwämmen stehen, sind diese grundlegenden Daten zur Überwachung der Intaktheit und Widerstandsfähigkeit von Schwammgründen in der Tiefsee wertvoll“, sagt Professorin Dr. Ute Hentschel Humeida, marine Mikrobiologin am GEOMAR und Mitautorin der Studie. „Wir haben hier eine wissenschaftliche Basis erarbeitet, die dabei mitwirken kann, Schutz- und Management-Strategien von gefährdeten Schwammgründen in der Tiefsee zu verbessern.“
Die Daten für die Studie wurden mit Hilfe von 21 verschiedenen Schiffsexpeditionen erfasst. Hierbei wurden 52 unterschiedliche Schwammgründe beprobt und in aufwendiger Form Daten zu den Schwämmen und ihrem Lebensraum erhoben, zum Beispiel mit Unterwasserrobotern wie dem ROV Kiel 6000. Um die Schwämme und Bakterien zu bestimmen, wurden genomische Sequenzierungen durchgeführt. Von den 169 erforschten Schwammarten waren viele zum Zeitpunkt der Untersuchung noch unbekannt.
Im Rahmen der Studie wurden mehrere umfassende Entdeckungen gemacht: Bemerkenswert ist zunächst die große Vielfalt an Bakterien in Tiefseeschwämmen – die Mehrheit davon ist neu für die Wissenschaft. Die Mikrobiome von Schwämmen sind untereinander ähnlicher als die aus Tiefseesedimenten oder aus dem Meerwasser. Dies ist bemerkenswert, da die Schwämme als Nahrungsfiltrierer dauerhaft große Mengen an Wasser durch ihr Gewebe filtrieren und dennoch eine andere Zusammensetzung von Bakterien aufweisen als sie rein im Seewasser zu finden sind.
Zudem hinterlässt der Wirtsschwamm eine prägende Wirkung auf sein Mikrobiom: Die Mikrobiome von nah verwandten Schwämmen sind untereinander ähnlicher als die von entfernt verwandten Schwämmen. Dennoch beherbergt jeder Tiefseeschwamm eine einzigartige mikrobielle Gemeinschaft.
Auch die Geographie spielt eine wichtige Rolle bei der Zusammensetzung der Bakterien. Auf 21 Ausfahrten wurden Proben von einem der nördlichsten bisher bekannten Schwammgründe, dem Karasik-Seeberg im Nordpolarmeer, über die Schwammgärten der gemäßigten Breiten bis hin zum Südpolarmeer genommen. Das Ergebnis: Je weiter die räumliche Distanz, desto unterschiedlicher waren die Schwamm-Mikrobiome.
Letztendlich hat auch die Meeresumwelt einen prägenden Einfluss auf das Schwamm-Mikrobiom: Neben Bakteriendichte, geografischer Entfernung und der Stammesgeschichte der Schwämme, bestimmen auch physikalisch-biogeochemische Messwerte des Umgebungswassers (in der Studie vor allem Temperatur, Salzgehalt, Tiefe, Nährstoffe/Sauerstoff) die Zusammensetzung des Mikrobioms. In Anbetracht der ständig zunehmenden Umweltveränderungen und Bedrohungen für Lebensräume in der Tiefsee (Schleppnetzfischerei und Bergbau) liefern die Ergebnisse besonders wichtige Erkenntnisse als Richtlinie für Schutz- und Managementstrategien.
Die Studie war in das Forschungsprojekt „SponGES“ integriert. Es wurde durch das Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizon 2020“ der Europäischen Union unterstützt. Die Forschung ist das Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit von 24 Wissenschaftler:innen von 22 verschiedenen Forschungsinstitutionen.
Originalarbeit:
Busch, K., Slaby, B. M., Bach, W., Boetius, A., Clefsen, I., Colaço, A., Creemers, M., Cristobo, J., Federwisch, L., Franke, A., Gavriilidou, A., Hethke, A., Kenchington, E., Mienis, F., Mills, S., Riesgo, A., Ríos, P., Roberts, E. M., Sipkema, D., Pita, L., Schupp, P. J., Xavier, J., Rapp, H. T., Hentschel, U. (2022): Biodiversity, environmental drivers, and sustainability of the global deep-sea sponge microbiome. Nature communications.
https://doi.org/10.1038/s41467-022-32684-4