Wenn der Ozean zur Kohlendioxidquelle wird
GEOMAR-Forscherin Ivy Frenger erhält ERC Starting Grant für ihr Projekt OSTIA
Der Ozean hat bislang große Mengen des vom Menschen freigesetzten Kohlendioxids und überschüssige Wärme gespeichert. Was geschieht damit, wenn das Ziel erreicht wird, mehr Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entfernen als auszustoßen? Die Klimaforscherin Dr. Ivy Frenger vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel will diese Frage mithilfe eines komplexen Erdsystem-Modells beantworten. Für ihr Projekt OSTIA (The Ocean’S role in miTIgating climAte change – Die Rolle des Ozeans bei der Abschwächung des Klimawandels) erhält sie einen der renommierten Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) in Höhe von 1,5 Millionen Euro.
„Wir sind sehr stolz auf Ivy Frengers Erfolg und gratulieren herzlich zu dieser Auszeichnung“, sagt GEOMAR-Direktorin Professorin Dr. Katja Matthes. „Der ERC Starting Grant ist eine hervorragende Bestätigung und eine besondere Ehre für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs. Er eröffnet ihnen Möglichkeiten, sich ihren individuellen, hoch relevanten Forschungsfragen zu widmen. Wir freuen uns, Talente wie Ivy Frenger an unserem Forschungszentrum zu haben und erwarten mit Vorfreude die Ergebnisse des Forschungsvorhabens. OSTIA wird sehr wichtige Erkenntnisse zu einem besseren Verständnis der Auswirkungen des Klimawandels liefern.“
„Es ist Grundlagenforschung“, sagt Frenger, „wir müssen die Prozesse verstehen, um ermessen zu können, was die Konsequenzen unserer Eingriffe sein könnten, wie zum Beispiel eine starke aktive Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre.“ Ihre Fragestellung betrachtet erstmals wie sich sowohl das im Ozean seit der Industrialisierung angesammelte Kohlendioxid (CO2) als auch die Wärme unter solchen Bedingungen verhalten und welche Prozesse im Ozean dabei jeweils die Wichtigsten sind, insbesondere, welche Rolle Transporte und Mischung durch Wirbel spielen. „Rund 40 Prozent der Emissionen fossiler Brennstoffe und 90 Prozent der Wärme hat der Ozean aufgenommen. Jetzt haben wir das politische Ziel, die Emissionen zu stoppen oder sogar, wenn wir unser Klimaziel verfehlen, langfristig CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen. Was passiert dann mit dem, was der Ozean bereits aufgenommen hat?“, umreißt Frenger das Problem.
Ozean und Atmosphäre stehen in ständigem Austausch, und das System versucht immer, ein Gleichgewicht herzustellen: Wenn sich mehr Gas in der Atmosphäre befindet als im Wasser, wird CO2 vom Ozean aufgenommen, sinkt der atmosphärische CO2 -Gehalt und kühlt sich das Klima in der Folge ab, setzt der Ozean zuvor aufgenommenes CO2 und Wärme wieder frei. Frenger: „Unsere Emissionen sind nicht weg, sie werden nicht vergessen, der Ozean erinnert sich für Jahrtausende an die menschengemachte Störung.“
Dr. Frenger interessiert, wann und wo die Freisetzung von CO2 und Wärme passieren wird und welche globalen und regionalen Auswirkungen dies auf das künftige Klima haben wird. Dafür nutzt sie ihr Wissen über Ozeanwirbel, die aufgenommenes CO2 und Wärme vom Ort der Aufnahme zum Ort der Abgabe transportieren könnten. Dieses Phänomen wird sie in ein komplexes Erdsystem-Modell einbauen, mit dem es möglich ist, auf Zeitreise zu gehen, um die Ausbreitung des aufgenommenen Kohlendioxids und der Wärme im Ozean zu verfolgen und die Auswirkungen auf unser zukünftiges Klima abzuschätzen.
„Im Modell kann man experimentieren“, hebt die Wissenschaftlerin einen Vorteil ihres Ansatzes hervor, „da kann ich schauen, wie beispielsweise das System reagiert, wenn wir die international vereinbarte Grenze von 1,5 Grad Erwärmung überschreiten.“ Der zweite große Vorteil: „Temperatur und CO2-Gehalt des Wassers lassen sich messen, aber daran lässt sich nicht erkennen, was davon der menschengemachte Anteil ist.“ Im Erdsystem-Modell lässt sich das darstellen, denn die präindustriellen Werte sind bekannt, und alles darüber hinaus kann als menschengemachte Störung identifiziert werden.
Um die riesigen Datenmengen zu verarbeiten, mit denen sie die anthropogene Wärme und das CO2 im Ozean in verschiedenen Klimaszenarien verfolgen kann, wird sie das Supercomputersystem verwenden, das der Norddeutsche Verbund für Hoch- und Höchstleistungsrechnen (HLRN) extra für Wissenschaft und Forschung betreibt.
Über ERC Starting Grants:
Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC), der 2007 von der Europäischen Union gegründet wurde, ist die wichtigste europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Die Starting Grants sind eines von vier Hauptförderprogrammen. In diesem Jahr werden 400 Nachwuchswissenschaftler:innen mit den Stipendien – insgesamt 628 Millionen Euro – unterstützt, ihre eigenen Projekte zu starten. Anlässlich der Bekanntgabe der Gewinner:innen sagte ERC-Präsidentin Professor Maria Leptin: „Es ist Teil unserer Aufgabe, Nachwuchstalente in die Lage zu versetzen, ehrgeizige, von Neugier getriebene Forschung zu betreiben, die unsere Zukunft gestalten kann. In dieser jüngsten Runde der Starting Grants hatten wir einen der höchsten Anteile an weiblichen Stipendiaten, und ich hoffe, dass dieser Anteil weiter steigen wird."