Wie geht es dem Tiefsee-Ökosystem des Atlantiks?
Internationales Forschungsprojekt iAtlantic startet mit Kick-off-Konferenz in Edinburgh
Mit etwa 80 Millionen Quadratkilometern nimmt der Atlantische Ozean ein Sechstel der Erdoberfläche ein. Für seine Anrainerstaaten ist er unter anderem Nahrungsquelle, Verkehrsweg und bestimmender Wetter- und Klimafaktor. Bei der Suche nach Rohstoffen und Nahrung dringt der Mensch immer in die Tiefsee des Atlantiks vor. Gleichzeitig gibt es noch viele offene Fragen zu den Ökosystemen dort, die vor fundamentalen Veränderungen wie steigenden Temperaturen und sinkenden pH-Werten stehen.
Meeresforscherinnen und Meeresforscher von 33 wissenschaftlichen Einrichtungen aus Europe, Argentinien, Brasilien, Südafrika, Kanada und den USA haben sich jetzt zusammengeschlossen, um den Zustand der Ökosysteme in der Tiefsee des Atlantiks in einer gemeinsamem Anstrengung zu untersuchen. Sie wollen die Widerstandsfähigkeit sowohl der dort lebenden Tiere als auch ihrer Lebensräume gegen Bedrohungen wie Temperaturanstieg, Umweltverschmutzung und menschliche Aktivitäten bestimmen. Die Gesamtkoordination übernimmt die Universität Edinburgh, das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ist ein wichtiger Projektpartner. „Das iAtlantic-Projekt zielt darauf ab, Erkenntnisse zu erzielen, die für einen verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit den der Ressourcen des Atlantiks in einer Zeit beispielloser globaler Veränderungen entscheidend sind“, sagt der stellvertretende Gesamtkoordinator Prof. Dr. Colin W. Devey vom GEOMAR.
Das ehrgeizige Projekt, das mit 10,6 Millionen Euro aus dem Programm Horizon 2020 der Europäischen Union finanziert wird, verfolgt zum ersten Mal einen ozeanweiten Ansatz, um zu verstehen, was die Verteilung, Stabilität und Verwundbarkeit von Tiefseeökosystemen beeinflusst. Die Arbeiten werden sich über das gesamte atlantische Becken erstrecken, von der Spitze Argentiniens im Süden bis nach Island im Norden, von den Ostküsten der USA und Brasiliens bis zu den westlichen Rändern Europas und Afrikas. Die internationale Zusammenarbeit ist dabei besonders wichtig. „Der Austausch von Fachwissen, Ausrüstung, Infrastruktur, Daten und Personal steht im Vordergrund des iAtlantic-Ansatzes“, betont Professor Devey.
Um den Zustand von Ökosystemen zu beurteilen, müssen Wissenschaftler mehr darüber wissen, wie sie vernetzt und verteilt sind, welche Funktionen sie erfüllen und wie stabil sie im Laufe der Zeit waren. All dies erfordert die Sammlung neuer Daten, aber auch innovativer Ansätze, damit lokale und regionale Beobachtungen auf das ganze Ozeanbeckens übertragen werden können. „Dabei spielen Computersimulationen von Wasserbewegungen, aber auch Wanderbewegungen von Organismen eine wichtige Rolle. In Kiel haben wir darin schon viel Erfahrung, die wir in das Projekt einbringen“, sagt Prof. Dr. Arne Biastoch aus der Forschungseinheit „Ozeandynamik“ am GEOMAR und Leiter des iAtlantic-Arbeitsbereichs „Atlantische Ozeanographie und Ökosystem-Verbindungen“ (Atlantic oceanography and ecosystem connectivity).
Um seine Ziele zu erreichen, wird iAtlantic neue Infrastrukturen für Tiefseebeobachtung im Nord- und Südatlantik einrichten, die genaue und detaillierte Einblicke in die Ozeanzirkulation in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einer Vielzahl von räumlichen und zeitlichen Skalen liefern. Die Beteiligten setzen neueste Meeresrobotik und Bildgebungstechnologie ein, um ein besseres Verständnis der Verteilung der Tiefseelebensräume auf dem Ozeanboden erlangen. Die Kombination aus hochauflösenden Ozeanmodellen und Daten zum Genom der im Atlantik lebenden Arten und ökologischen Zeitserien werden all diese neuen Informationen einen beispiellosen Überblick über die Auswirkungen des Klimawandels auf die atlantischen Ökosysteme geben.
Um die dafür notwendigen enormen Datenmengen zu generieren, wird iAtlantic 32 Forschungsexpeditionen mit einer multinationalen Flotte von Forschungsschiffen und modernster Meerestechnik und -instrumentierung unternehmen. Sie konzentrieren sich auf 12 Standorte in der Tiefsee und im offenen Meer, die von internationaler Bedeutung für den Naturschutz sowie die Sektoren Blue Economy und Blue Growth sind. Diese Expeditionen werden nicht nur die entlegensten Winkel des Atlantiks erforschen, sondern auch unschätzbare Möglichkeiten bieten, die menschlichen und technologischen Kapazitäten zu verbessern und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Industrie und Politik in den atlantischen Nachbarländern voranzutreiben.
„Letztendlich werden die Ergebnisse des iAtlantic-Projekts genutzt, um den Dialog mit den Interessengruppen anzuregen, mehr Kapazität für eine effektive Meeresraumplanung zu schaffen und die Entwicklung der Meerespolitik auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene zu fördern“, fasst Professor Devey zusammen.