Luisa Galgani vor einem Schmelzwassertümpel mit Spezialvorrichtungt zur Beprobung der Wasseroberfläche. Foto: Karl Attard
Probennahme vom Oberflächenwasser eines Schmelzwassertümpels, im Hintergrund FS Polarstern. Foto: Anique Stecher
Meereisscholle von oben. Foto: Stefan Hendricks

Wie kleinste Partikel aus dem Meer das Klima beeinflussen können

GEOMAR-Forscher beschreiben, wie die im Meereis lebenden Mikroorganismen zur Wolkenbildung beitragen könnten

20.07.2016/Kiel. Wenn das Eis der Arktis schmilzt, hinterlässt es einen dünnen Biofilm an der Wasseroberfläche. Genau diese Grenzfläche zwischen dem Meer und der Atmosphäre spielt eine entscheidende Rolle für klimarelevante Prozesse. Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung untersuchten die Bestandteile des Biofilms im Schmelzwasser auf und neben dem arktischen Meereis. Ihre Ergebnisse zeigen, dass er viele Bestandteile enthält, die auch für die Wolkenbildung in der tieferen Atmosphäre verantwortlich sind. Die Studie erscheint jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Scientific Reports.

Das Eis der Arktis, so lebensfeindlich es auch erscheint, ist das zu Hause von zahlreichen einzelligen Algen und Bakterien. Um auf und unter dem Eis überleben zu können, schützen sich diese Mikroorganismen mit einer Art biologischem Frostschutzmittel, das sie wie eine Schutzschicht umgibt. Diese Biofilme bestehen aus Proteinen und Zuckerbausteinen. Schmilzt nun das Eis, bleibt ein dünner, gallertartiger Film an der Wasseroberfläche zurück. Zum ersten Mal haben Forscher vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel diesen Oberflächenfilm des Meeres als mögliche Quelle atmosphärischer Aerosole bei der Eisschmelze in der zentralen Arktis untersucht. Aerosole spielen eine große Rolle für klimarelevante Prozesse. Sie dienen als Kondensationskeime und sorgen somit für die Wolkenbildung. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Eisschmelze eine Quelle für organische Verbindungen und Gelpartikel  ist, die einen großen Einfluss auf die Wolkenbildung haben können“, sagt Prof. Anja Engel vom GEOMAR. Sie ist Leiterin der Studie, die jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht ist.

Nicht nur wärmere Meeresströmungen, sondern auch die Wolkenbildung hat einen Einfluss auf das Eis. Im Jahr 2012 erreichte die Bedeckung des Arktischen Eises seine bis dahin geringste Ausbreitung mit einer Fläche von 3.41 Millionen Quadratkilometer. Im selben Jahr nahmen Wissenschaftler des GEOMAR gemeinsam Wissenschaftlern vom Alfred-Wegener-Instituts für Polar und Meeresforschung an der Expedition IceArc mit dem Forschungseisbrecher Polarstern teil, um den Wandel in der zentralen Arktis zu dokumentieren. 

„Die Veränderungen, die im arktischen Ozean stattfinden sind von Jahr zu Jahr mehr sichtbar. Im Sommer ist das immer dünner werdende Eis bedeckt mit abertausenden von großen und kleinen Schmelzwassertümpeln. Diese kleinen Wasserreservoire bieten einen neuen Lebensraum für Organismen aus dem Eis“, so Dr. Luisa Galgani, Erstautorin der wissenschaftlichen Arbeit. Für die Studie nahmen die Wissenschaftler Proben von den Schmelzwassertümpeln, dem Wasser am Rande von Eisschollen und aus dem offenen Meer. Sie wollten herausfinden, welche organischen Bestandteile die nur wenige Mikrometer dünnen Grenzschicht zwischen Wasser und Luft enthält.

Die Grenzschicht zwischen der Oberfläche des Meeres und der Luft ist wichtig, da sie die direkte Verbindung zwischen dem Ozean und der Atmosphäre darstellt. Wenn sich viele organische Bestandteile an der Oberfläche sammeln, könnte dies ein beträchtliches  Reservoir für die Bildung von atmosphärischen Aerosolen sein. In der Arktis beeinflusst wiederum die Wolkenbedeckung und damit die Aerosole die Fähigkeit des Meereises Sonnenlicht zu reflektieren oder Sonnenstrahlung zu absorbieren.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass ausgerechnet organische Gelpartikel unter einem Mikrometer Größe am häufigsten in der Grenzschicht des arktischen Schmelzwassers vorkommen. Durch Wasserbewegungen, Wind und Tröpfchenbildung gelangen sie in die Luft. Das besondere an diesem Größenbereich ist, dass sich diese Teilchen für mehrere Tage bis Wochen in der Atmosphäre akkumulieren können. In diesem Zeitraum können sie große Entfernungen zurücklegen. Weil Partikel dieser Größe am langlebigsten sind haben sie den größten Anteil an der atmosphärischen Aerosolmasse. Daher sind sie wichtig für viele Prozesse in der Atmosphäre, die das Rückstrahlvermögen der Erde und damit den Meereisverlust und Gewinn in der Region bestimmen. Es ist wahrscheinlich, dass sich zukünftig auch die Konzentration von organischen Verbindungen an der Grenzschicht verändert. Die Veränderung des mehrjährigem Eis hin zu dünnem einjährigen Eisschollen und die steigende Anzahl der Schmelzwasserlachen auf dem Eis unterstützt die Anreicherung von proteinhaltigen Verbindungen an der Oberfläche.

„Wir sind gerade erst am Anfang zu verstehen, welche Rolle mikrobielle Prozesse in Hinblick auf direkte Wechselwirkungen zwischen der Meeresoberfläche und der Atmosphäre spielen. Dies zu verstehen ist eine dringende Aufgabe, da wir bereits wissen, wie empfindlich mikrobielle Prozesse auf den Klimawandel reagieren,“ resümiert Prof. Anja Engel. 

 

Bildmaterial in höherer Auflösung:

Luisa Galgani vor einem Schmelzwassertümpel mit Spezialvorrichtungt zur Beprobung der Wasseroberfläche. Foto: Karl Attard
Probennahme vom Oberflächenwasser eines Schmelzwassertümpels, im Hintergrund FS Polarstern. Foto: Anique Stecher
Meereisscholle von oben. Foto: Stefan Hendricks

 

Originalarbeit:
Galgani, L, J. Piontek, A. Engel (2016): Biopolymers form a gelatinous microlayer at the air-sea interface when Arctic sea ice melts, Scientific Reports, www.nature.com/articles/srep29465

 

 

Ansprechpartner:

Sarah Kaehlert (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel.: 0431 600-1815, presse(at)geomar.de 

Luisa Galgani vor einem Schmelzwassertümpel mit Spezialvorrichtungt zur Beprobung der Wasseroberfläche. Foto: Karl Attard
Luisa Galgani vor einem Schmelzwassertümpel mit Spezialvorrichtungt zur Beprobung der Wasseroberfläche. Foto: Karl Attard
Probennahme vom Oberflächenwasser eines Schmelzwassertümpels, im Hintergrund FS Polarstern. Foto: Anique Stecher
Probennahme vom Oberflächenwasser eines Schmelzwassertümpels, im Hintergrund FS Polarstern. Foto: Anique Stecher
Meereisscholle von oben. Foto: Stefan Hendricks
Meereisscholle von oben. Foto: Stefan Hendricks