GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
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Die Kieler Meeresforschung beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Aspekten von Korallenriffen, von grundlegenden Fragen der Korallenphysiologie über ihre Fähigkeiten, auf Umweltveränderungen zu reagieren bis hin zu Möglichkeiten, aus den Korallen vergangene Klima- und Umweltbedingungen abzulesen. Heute sind verschiedene Disziplinen und Arbeitsgruppen am GEOMAR und im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft" an dieser Forschung beteiligt.
Korallen erzählen Umweltgeschichte
Um Umweltveränderungen, unter denen möglicherweise auch Korallen leiden, besser abschätzen zu können, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Wie haben sich Temperatur und Säuregrad des Meerwassers entwickelt, wie hat der Meeresspiegel geschwankt? Was waren die Folgen?
Schon in den 1990er Jahren wandten sich Kieler Forscherinnen und Forscher der Frage zu, ob Korallen selbst als Archiv dienen können, um frühere Umweltbedingungen zu rekonstruieren. Erste Untersuchungen fanden an Riffen im Golf von Akaba statt, später im westlichen Indischen Ozean. „Zunächst ging es um die simple Frage, wie viel Karbonat Korallen überhaupt produzieren. Darauf aufbauend konnten wir Schritt für Schritt immer mehr Umweltsignale aus den Korallen herauslesen", berichtet der Paläoozeanograph Prof. Dr. Wolf Christian Dullo. Er war 1999 bis 2004 Direktor des Kieler Forschungszentrums für Marine Geowissenschaften, eine der Vorgängereinrichtungen des heutigen GEOMAR.
Mittlerweile helfen Korallen, viele Fragen zur Klima- und Umweltgeschichte zu beantworten. Ihr Vorteil: Sie bieten eine sehr feine zeitliche Auflösung, die mit anderen Klimaarchiven, zum Beispiel Sedimentkernen, kaum zu erreichen ist. „Korallen erreichen oft ein Alter von mehreren hundert Jahren. Ihr jährliches Wachstum wird ähnlich wie bei Bäumen in Dichtebändern dokumentiert und ermöglicht so die Untersuchung geochemischer Parameter in jährlicher, teils saisonaler Auflösung, die bis in Zeiten vor der industriellen Entwicklung des 19. Jahrhunderts zurückreichen", erklärt Professor Dullo. Selbst einzelne Naturereignisse wie Hurrikane oder Extremniederschläge lassen sich im Korallenarchiv ablesen. „Wir konnten beispielsweise mit Hilfe von Korallenriffen bei Madagaskar nachweisen, dass der Agulhas-Strom an der Südspitze Afrikas in den vergangenen 300 Jahren nie so warm war wie heute", sagt Dullo.
Parallel zu den Untersuchungen an tropischen Korallen begannen sich Forscherinnen und Forscher in Kiel Mitte der 1990er Jahre auch für Kaltwasserkorallen zu interessieren. Da die Riffe in deutlich größerer Tiefe existieren, waren sie lange nur Fischern bekannt, die hin und wieder abgerissene Korallenstöcke in ihren Netzen hatten. Hier galt es also Entdeckerarbeit zu leisten: Wo kommen Kaltwasserkorallenriffe überhaupt vor? Heute sind Riffe von der Küste Mauretaniens entlang der europäischen Schelfkante bis hin nach Nordnorwegen, aber auch im Golf von Mexiko bekannt. An den Schelfkanten bilden sie teilweise gewaltige Strukturen. In der Porcupine Seabight, einer untermeerischen Bucht westlich von Irland, erreichen von Kaltwasserkorallen gebildete Karbonathügel an ihrer Basis einen Durchmesser von 100 bis 1.800 Metern und eine Höhe von bis zu 350 Metern über dem Meeresboden. Das Røst-Riff vor Norwegen bedeckt gar eine Fläche von 130 Quadratkilometern. „Lange war völlig unklar, warum die Kaltwasserkorallen nur an bestimmten Stellen und in bestimmten Tiefen wachsen. Mittlerweile wissen wir, dass sie an einer speziellen Dichteschicht des Wassers siedeln, auf der ihnen genug Nährstoffe zugeführt werden", erklärt der Paläoozeanograph Dr. Sascha Flögel. Über Jahrmillionen entschied das Auf und Ab dieser Wohlfühlzone darüber, ob die Korallen wachsen konnten oder nicht. „Da Wassertemperaturen eine Rolle für die Dichte spielen, könnte eine Erwärmung des Meerwassers das Korallenwachstum in Zukunft also deutlich beeinflussen", ergänzt Flögel. Da die Kaltwasserkorallen viel schwieriger zu erreichen sind als die tropischen Korallen, führte dieser Forschungszweig auch zu einem erheblichen Schub bei der Entwicklung von Unterwassertechnologien. „Ein großer Teil unserer Tiefsee-Infrastruktur geht ursprünglich auf den Wunsch der Wissenschaft zurück, die Umweltbedingungen rund um Korallenriffe detaillierter nachvollziehen zu können", erklärt Dr. Flögel, der selbst mittlerweile schwerpunktmäßig die Entwicklung des Tiefsee-Crawler-System MANSIO/VIATOR vorantreibt.
Auch die Analysemethoden, mit deren Hilfe die in Korallen gespeicherten Informationen gelesen werden können, werden immer ausgefeilter. Dr. Ed Hathorne aus der Forschungseinheit „Paläo-Ozeanographie" entwickelt beispielsweise aktuell neue Methoden, um historische Landnutzungsarten und Erosion anhand von Spuren in den Korallen nachzuweisen. „Dazu wollen wir im Labor einige tropische Korallen verschiedenen Spurenelementen aussetzen und anschließend genau prüfen, ob und wie sie sich im Korallenwachstum niederschlagen. Wenn wir die Reaktion der Korallen kennen, wissen wir auch, nach welchen Signalen wir in abgestorbenen, fossilen Korallen suchen müssen", erklärt er.
Ein tropisches Riff an der Kieler Förde
Die Arbeitsgruppe um den Geochemiker Prof. Dr. Anton Eisenhauer hat in den Räumen des GEOMAR ein künstliches Korallenriff etabliert. „Die Artenzusammensetzung, die Lichtverhältnisse, die Temperaturen, der Säuregrad, Calcium- und Carbonatgehalt, und die im Wasser gelösten Nährstoffe und Spurenelemente sind streng vorgegeben und entsprechen den Verhältnissen im Golf von Akaba", erklärt Professor Eisenhauer. Fast ein Jahr lang hat das Team Einstellungen und Techniken ausprobiert, bis es den Korallen sichtlich gut ging und sie sich vermehrten. Krebse, Schnecken, Garnelen und Fische, die das Riff sauber und unerwünschte Bewohner im Zaum halten, vervollständigen das kleine Ökosystem.
Ursprüngliches Ziel des Miniriffs war es, den Geheimnissen der Biomineralisation, Photosynthese und des Stofftransportes der Korallen auf die Spur zu kommen. „Dafür setzen wir einige Polypen der Korallen auf eigens entwickelte Probenplatten, und lassen dort neues Gewebe wachsen. Anschließend können wir die Stoffflüsse durch die natürlichen Membranen genau messen und den Einfluss von Prozessen wie Photosynthese oder Kalzifizierung auf die Ionenflüsse untersuchen", erklärt Professor Eisenhauer. Diese Erkenntnisse helfen, Gesundheit und Entwicklung von frei lebenden Korallen besser zu verstehen. Zusammen mit Partnern am Inter-University Institute for Marine Sciences im israelischen Eilat testet die Arbeitsgruppe von Professor Eisenhauer beispielsweise aktuell im echten Golf von Akaba, ob anhand der Isotopenverhältnisse von Kohlenstoff und Sauerstoff die Riff-Gesundheit überwacht werden kann. „Wenn wir entsprechende Sensoren in Riffen installieren und sie mit der Küste verkabeln, könnte man Riffe einfach online überwachen", erklärt Professor Eisenhauer.
Was macht tropische Korallen widerstandsfähig?
Korallen sind nicht nur Archive für Umweltinformationen. Sie sind auch in der Gegenwart wertvolle Ökosysteme und natürliche Küstenschutzanlagen. Doch ihre Zukunft ist ungewiss. Sie wird unter anderem von steigenden Wassertemperaturen bedroht, die immer wieder ausgedehnte Korallenbleichen hervorrufen. Eines dieser Ereignisse hat 2010 beispielsweise die Hälfte aller Korallenriffe in Thailand geschädigt. In den Arbeitsgruppen Benthosökologie und Marine Mikrobiologie des GEOMAR beschäftigen sich Dr. Marlene Wall und Dr. Anna Roik mit der Frage, wie tropische Korallen auf solche Ereignisse reagieren und ob sie sich regenerieren und anpassen können. „Wir haben rund um die Inselgruppe der Andamen im Indischen Ozean festgestellt, dass Korallen, die regelmäßig von kaltem Wasser aus der Tiefe überspült werden, widerstandsfähiger sind, als solche, die in konstanten Wassertemperaturen leben", erklärt Dr. Wall.
Parallel verfolgt Anna Roik mit Unterstützung des Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft" einen weiteren Ansatz: Welche Rolle spielt das Mikrobiom, also die Gesamtheit der an und auf den Korallen lebenden Mikroorganismen, für die Widerstandsfähigkeit und Fitness der Korallen? „Es ist ja fast schon zum Allgemeinwissen geworden, dass die Zusammensetzung der Mikroorganismen-Gemeinschaft im Darm des Menschen eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit spielt. Auch in der Meeresbiologie wird das Thema immer wichtiger", sagt Dr. Roik. Da die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ute Hentschel Humeida am GEOMAR die gleichen Fragestellungen bei marinen Schwämmen verfolgt und die Deutsche Forschungsgemeinschaft seit 2016 an der Universität Kiel den Sonderforschungsbereich 1182 „Metaorganism" fördert, biete Kiel gute Möglichkeiten für derartige Untersuchungen. „Durch Beprobung der Korallen vor Thailand und mit Hilfe von DNA-Analysen möchten wir mehr über die Mikroorganismen-Gemeinschaften der Korallen lernen", berichtet Roik, „Letztendlich könnte das Wissen über das Mikrobiom dahin führen, dass wir neuartige Strategien entwickeln können, die es ermöglichen Korallenpopulationen zu schützen oder sogar fitter für die Zukunft machen."
Schaffen Kaltwasserkorallen die Anpassung?
Kaltwasserkorallen sind zwar von Korallenbleichen nicht betroffen. Aber auch ihre Umwelt verändert sich. Janina Büscher aus der Arbeitsgruppe von Professor Ulf Riebesell in der Forschungseinheit „Biologische Ozeanographie" beschäftigt sich seit zehn Jahren mit Kaltwasserkorallen. Mehrmals hat sie dafür zusammen mit ihrem Kollegen Dr. Armin Form Korallen nach Kiel geholt, wo seitdem in einer dunklen Kulturkammer bei sieben Grad Celsius ein kleines Kaltwasserkorallen-Habitat existiert. „Daran haben wir experimentell getestet, wie die Korallen auf steigende Temperaturen und einen höheren Kohlendioxid-Gehalt reagieren", sagt Büscher. „Wir haben dafür unter Laborbedingungen ein Jahr lang die Temperatur und den Kohlendioxid-Gehalt in Aquarien alle sechs Wochen in kleinen Schritten erhöht", erklärt sie. Im Fokus stand dabei die Art Lophelia pertusa, die weltweit verbreitet ist und riesige Riffe bilden kann. „Die Korallen kamen bis circa 15 Grad Wassertemperatur einigermaßen gut zurecht", sagt Büscher. Eine beachtliche Leistung – normalerweise leben sie am norwegischen Kontinentalschelf bei etwa 6 bis 8 Grad Wassertemperatur.
Zusätzlich untersucht sie Korallen regelmäßig in ihrer natürlichen Umgebung. Erst im Juli stattete sie den Riffen Sula, Nord-Leksa, Hola und Steinavaer in Norwegen mit dem Forschungsschiff POSEIDON und dem Tauchboot JAGO Besuche ab. Dort prüfte sie den Zustand der Korallen, maß ihren Sauerstoffverbrauch und verglich verschiedene Parameter mit den Erkenntnissen aus dem Labor in Kiel. Einige Korallen kamen auch wieder mit ans GEOMAR. Hier sollen weitere Eigenschaften wie Reproduktion, Genetik oder Isotopie untersucht werden. „Insgesamt deuten unsere bisherigen Ergebnisse darauf hin, dass die Kaltwasserkorallen besser mit dem Klimawandel zurechtkommen könnten als erwartet", fasst Büscher zusammen. Das gilt allerdings nur für lebende Korallen. Die unteren Schichten der Riffe bestehen natürlicherweise aus den Skeletten abgestorbener Korallen. Diese können sich nicht mehr anpassen, ihr Kalkskelett löst sich bei zunehmender Versauerung auf. „Dann könnte im schlimmsten Fall das ganze Riff zusammenbrechen", erklärt Büscher. Und auch die lebenden Korallen kostet die Anpassung viel Kraft, die dann möglicherweise für andere Aufgaben wie Fortpflanzung fehlt. Auch bei Kaltwasserkorallen gilt daher: Entwarnung ist nicht in Sicht.