GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
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Ein höchst ungewöhnliches und unvergessliches Feldexperiment ist zu Ende gegangen. Eine Studie, in der wir ebenso viel darüber gelernt haben, wie wir mit Unsicherheiten und gefühlten Bedrohungen in einer noch nie dagewesenen Situation umgehen, wie über die möglichen Reaktionen eines der produktivsten Ökosysteme des Ozeans auf Umweltveränderungen. Es fühlte sich an wie ein kontinuierlicher Strom von zuvor unvorstellbaren Herausforderungen - logistisch, wissenschaftlich, sozial und persönlich.
Logistisch gesehen war das Projekt von Anfang bis Ende fordernd. Anfang Februar waren wir begierig darauf, das Experiment zu beginnen, mussten aber lange und frustrierende Wochen durchleben, in denen wir darauf warteten, dass unsere Container vom Zoll abgefertigt wurden. Welch eine Erleichterung als unsere Forschungsausrüstung endlich in La Punta bei Callao eintraf. Mit dreiwöchiger Verspätung begann das Experiment schließlich, und es nahm schnell Fahrt auf.
Die Arbeitsroutine war gerade dabei sich einzuspielen, als plötzlich die Corona-Pandemie ihre ersten Schatten über Peru warf. Obwohl die Zahl der COVID-19-Fälle im Vergleich zu vielen europäischen Ländern immer noch gering war, ergriff die peruanische Regierung von einem Tag auf den anderen drastische Maßnahmen, schloss ihre Grenzen und führte eine landesweite Quarantäne und eine nächtliche Ausgangssperre ein. Glücklicherweise konnten wir dank spezieller Unterstützungsschreiben von unserem peruanischen Partnerinstitut IMARPE und der deutschen Botschaft unsere Arbeit unter gewissen Einschränkungen fortsetzen.
Der größte Rückschlag für unsere Forschung ereilte uns eine Woche später, als unsere angemieteten Labore in Gebäuden der peruanischen Marineschule in La Punta und der daran angeschlossene Hafen, in dem wir mit unseren Boote anlandeten, mit nur einer Stunde Vorwarnung geschlossen wurden. Wir nutzten jede Minute dieser Stunde, um unsere Boote und so viel unserer Laborausrüstung wie irgend möglich vor der Sperrung heraus zu holen.
Bereits am nächsten Tag wurden die Geräte im Frühstücksraum und in den Zimmern unserer Herberge Villa La Punta und bei IMARPE aufgestellt, die uns erlaubten, ihre Einrichtungen weiterhin zu nutzen. Die Entschlossenheit und das Improvisationsvermögen der Gruppe zu diesem Zeitpunkt war einfach überwältigend.
Mit all den Einschränkungen war die Fortsetzung unserer experimentellen Arbeit ein täglicher Hindernislauf. Aber zur Überraschung aller (einschließlich meiner eigenen) schafften wir es, bis zum 02. April, dem ursprünglich geplanten letzten Tag der Probenahme, weiterzumachen. Unfassbar unter diesen Umständen und etwas, worauf wir alle stolz sein können. Was folgt, war ein kraftvoller Endspurt all derer, die noch vor Ort waren. Die gesamte Ausrüstung wurde im Hinterhof von IMARPE gesammelt, dem Zoll entsprechend exakt so verpackt wie es in Peru ankam und in großen Haufen versandfertig gestapelt. Die Mesokosmen wurden in Schritten über mehrere Tage hinweg mit Hilfe der Forschungsschiffe IMARPE VI und BIC HUMBOLDT geborgen. Zusammen mit unseren Arbeitsbooten WASSERMANN und RITA sowie dem Tiefwasser-Kollektor wurden sie in ein Lager transportiert, wo sie zwischenlagern, bis unser technisches Team wieder nach Peru einreisen kann, um den Rücktransport vorzubereiten. Hoffen wir, dass es nicht allzu lange dauern wird.
Wissenschaftlich war das Fehlen von Gruppendiskussionen und Datenpräsentationen die größte Herausforderung. Es fühlte sich wie ein Blindflug an, bei dem das Experiment ohne einen guten Überblick über die Entwicklung unserer eingeschlossenen Ökosysteme voranschritt. Positiv zu vermerken ist, dass die wenigen Ergebnisse, die während der Studie verfügbar wurden, sehr vielversprechend aussehen.
Sozial war die Situation außerordentlich schwierig. Mit dem Beginn der Quarantäne und der Ausgangssperre war es unmöglich, sich als Gruppe zusammenzufinden. Soziale Interaktion fand nur innerhalb der Untergruppen statt, die in den verschiedenen Unterkünften zusammenlebten. Aber ich bin beeindruckt, wie die Kolleginnen und Kollegen sich gegenseitig geholfen haben, diese schwierigen Zeiten zu überstehen.
Für mich persönlich war dies die bisher aufreibendste und heikelste Erfahrung als Leiter einer Forschungsexpedition. Die Sicherheit und das Wohlergehen aller hatten oberste Priorität. Die physische Isolation aufgrund der Quarantäne und der Ausgangssperre sowie die Ungewissheit darüber, wie und wann wir nach Hause kommen würden, verursachten jedoch eine Menge psychischen Stress. Die richtige Balance zu finden zwischen der Vermittlung einer Perspektive, wie wir unsere Arbeit fortsetzen können, und der mentalen Unterstützung derer, die sich entschieden haben, auszusteigen, war für mich eine der schwierigsten Aufgaben.
Ich bin allen sehr dankbar, die uns geholfen haben, diese herausfordernden Zeiten zu überstehen, zu viele, um sie hier alle aufzuzählen. Und ich bin froh, dass alle Teilnehmenden sicher und wohlbehalten nach Hause gekommen sind. Wir alle mussten einen hohen Tribut an COVID-19 zahlen, aber ich denke, wir haben das Beste aus einer extrem schwierigen Situation gemacht. Ich freue mich darauf, wieder in dieser Gruppe zusammenzukommen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser außergewöhnlichen Studie herauszuarbeiten und einige der sozialen Ereignisse nachzuholen, auf die wir alle während dieser Kampagne in COVID-19 Zeiten verzichten mussten.