GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
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Modellierung umfasst heute weit mehr als nur Wetter und Klima, in nahezu allen Bereichen der Forschung am GEOMAR finden sich theoretische und numerische Methoden, die Beobachtungsdaten und Proben aus dem Ozean sowie aus Experimenten unter kontrollierten Bedingungen hervorragend ergänzen. Wer sich mit der Modellierung des Erdsystems beschäftigt, merkt allerdings sehr schnell: Das Universalmodell, das für alle Anwendungen geeignet wäre, gibt es nicht. Zwar sind die grundlegenden physikalischen Prozesse bekannt, diese lassen sich auch in mathematischen Gleichungen darstellen, wie man bei Prof. Dr. Richard Greatbatch im Bereich „Theorie und Modellierung“ lernen kann. „Leider können wir diese Gleichungen weder analytisch noch numerisch exakt lösen“, so der Wissenschaftler. Deshalb muss man bei der Modellierung immer vereinfachen, sowohl in der räumlichen Auflösung wie auch in der Darstellung der physikalischen Prozesse.
Am GEOMAR wird eine Hierarchie von Modellen für unterschiedliche Anwendungen benutzt, die ineinandergreifen und sich systematisch ergänzen. Doch auch diese vereinfachten Modelle funktionieren nur mit Hilfe von leistungsfähigen Großrechnern. „Solche Rechner stehen am GEOMAR selbst nicht zur Verfügung, wir nutzen Hochleistungsrechner an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, aber auch Kapazitäten an Höchstleistungsrechenzentren in Hamburg, Hannover, Berlin oder Jülich“, erläutert Prof. Dr. Claus Böning, Leiter der Forschungseinheit Theorie und Modellierung. (Theorie und Modellierung)
1. Ozeanmodellierung - die klassische Disziplin
Für eine Meeresforschungseinrichtung wie das GEOMAR ist es geradezu selbstverständlich, Ozeanmodelle zu betreiben. In Kiel existiert dazu eine lange Tradition. Seit die Rechenkapazität der Großrechner zugenommen hat, betreibt die GEOMAR-Forschungseinheit Theorie und Modellierung schwerpunktmäßig hochauflösende Ozeanmodelle und entwickelt sie weiter, oft in enger Kooperation mit anderen Forschungszentren weltweit und immer kritisch abgeglichen mit den Ergebnissen der zur See fahrenden Kolleginnen und Kollegen.
Paradepferde sind die Modelle mit einer globalen Auflösung von 1/12 Grad – diese unterteilen die gesamte Erde in Datenboxen mit einer Kantenlänge von etwa neun Kilometern. Diese Modelle gehören zu den weltweit leistungsfähigsten ihrer Art und können sogar einzelne Ozeanwirbel auflösen. Die Kehrseite der Medaille: „Pro Simulationsjahr werden etwa 12 Stunden Rechenzeit auf 2036 Prozessoren des aktuellen Höchstleistungsrechners in Hannover oder Berlin benötigt“, erläutert Prof. Dr. Arne Biastoch. „Deutlich flexibler sind wir mit den ebenfalls hochauflösenden, aber regionalen ,Modellnestern‘, bei denen wir die Auflösung speziell für einzelne Ozeanbecken oder Strömungssysteme wie dem Golfstrom oder dem Agulhasstrom erhöhen können“, so Biastoch weiter. Für Studien zum Klimawandel aber auch für Untersuchungen zur Geschichte des Klimas gibt es Versionen mit geringerer Auflösung, die auch im Rahmen von gekoppelten Ozean-Atmosphäre Modellen benutzt werden. Auf der anderen Seite stehen Modellversionen mit einer regional sehr hohen Auflösung bis zu 1/60 Grad (Datenboxen von unter 2 Kilometern Kantenlänge) zur Verfügung, um kleinräumige Prozessstudien zu betreiben. Solche Modelle können beispielsweise auch benutzt werden, um die Wege der Aale aus der Sargassosee nach Europa zu untersuchen. Auch Rückrechnungen, wie die Bestimmung des Ursprungsgebietes von Trümmerteilen eines Flugzeuges sind mit solchen Modellen möglich. (Ozeanmodelle)
2. Alles hängt zusammen – gekoppelte Klimamodelle
Wechselwirkungen im Klimasystem verursachen natürliche Klimaschwankungen, die sich über Zeiträume von Monaten bis Jahrhunderten abspielen. „Wir haben bislang nur einen Teil dieser natürlichen Klimaschwankungen verstanden. Modellstudien helfen uns dabei, die Mechanismen besser zu verstehen und verlässlichere Abschätzungen über die zukünftige Entwicklung des Klimas zu geben“, erläutert Prof. Mojib Latif aus der Maritimen Meteorologie. „Zu einem Klimamodell gehören heute neben einer atmosphärischen und ozeanischen Komponente, auch Meer- und Inlandeiskomponenten, die interaktiv gekoppelt sind“, so Latif weiter. Die Entwicklung solcher komplexen Modelle erfordert viel Kompetenz und Erfahrung. Deshalb arbeiten hier oft verschiedene Forschungseinrichtungen zusammen.
„Unser neues flexibles Kieler Klimamodellsystem FOCI haben wir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Theorie und Modellierung sowie unseren Partnern wie dem Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg aufgebaut“, erläutert Prof. Dr. Katja Matthes, Leiterin des Forschungsbereichs „Ozeanzirkulation und Klimadynamik“ am GEOMAR. „Je nach Fragestellung können wir damit zum Beispiel die Auflösung in bestimmten Ozeanregionen wie dem Golfstrom oder dem Agulhasstrom erhöhen, um den Einfluss der mittelgroßen Ozeanwirbel auf großräumige Zirkulationsmuster der Atmosphäre zu untersuchen. Oder wir interessieren uns für die stratosphärische Ozonschicht oder für biogeochemische Prozesse im Ozean und rechnen diese jeweils explizit mit.“ Typische Auflösungen für Langzeitintegrationen liegen gegenwärtig bei etwa 180 km. Für 100 Jahre gekoppelter Simulation werden so etwa 1,5 Monate Rechenzeit benötigt. Hinzu kommen etliche Terabyte an Daten, die gespeichert und ausgewertet werden wollen. Es ist deshalb nicht nur eine hohe Rechenleistung, sondern auch eine leistungsfähige Infrastruktur für das Datenmanagement und die Visualisierung der Modelldaten notwendig. Dieser Bereich wurde am GEOMAR in den vergangenen Jahren erheblich ausgebaut. (Maritime Meteorologie)
3. Biogeochemie – das nächste Komplexitätsniveau
Nicht nur physikalische Prozesse haben Auswirkungen auf das Klima oder auf biologische Prozesse. Chemische Reaktionen, zum Beispiel durch die natürliche oder vom Menschen verursachte Freisetzung von Gasen, spielen in Ozean und Atmosphäre ebenso eine wichtige Rolle. Vulkane können große Mengen an gasförmigen und festen Stoffen in die höhere Atmosphäre bringen, die den Planeten temporär global abkühlen können. Zusätzliches Kohlendioxid erwärmt nicht nur die Atmosphäre, sondern führt im Meerwasser zur Versauerung - Prozesse die mit Hilfe spezieller Modellierungsansätze untersucht werden können. Auch hier gibt es am GEOMAR schon Komponenten und Anwendungen. In der Biogeochemischen Modellierung werden Transporte und Wechselbeziehungen von elementaren Stoffen im Ozean, vorwiegend von klimarelevanten Substanzen wie Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff untersucht. Als Werkzeuge dienen numerische Modelle verschiedenster Komplexität. „Wir haben es hier mit einem komplizierten Puzzle zu tun, in dem viele Wechselwirkungen noch gar nicht bekannt sind“, sagt Prof. Dr. Andreas Oschlies, Leiter der Biogeochemischen Modellierung. „In den letzten Jahren haben wir mit Hilfe unserer Modellexperimente ein deutlich verbessertes Verständnis des Kohlenstoffkreislaufs und der Sauerstoffversorgung im Ozean erlangt“, so Oschlies weiter. (Biogeochemische Modellierung)
4. Plattenbewegung und Meeresboden – das Erdsystem wird komplett
Die feste Erde, deren unter Wasser befindlichen Teil Geologen und Geophysiker am GEOMAR genauer untersuchen, ist ebenfalls Veränderungen unterworfen. Dazu gehören zum Beispiel die Bewegungen der Erdplatten, damit verbunden Erdbeben, Vulkanausbrüche oder auch Tsunamis. Diese dynamischen Prozesse haben häufig sehr viel längere Zeitskalen, als die des Klimasystems. Aber auch auf diesem Wissenschaftsgebiet wird am GEOMAR modelliert, um die nur schwer oder gar nicht zu beobachteten Prozesse besser zu verstehen. „Noch sind wir sehr weit von Erdbebenvorhersagen entfernt. Die Messdaten, die man bräuchte, um ein Modell zu füttern, gibt es schlichtweg nicht“, sagt Prof. Dr. Lars Rüpke aus dem Forschungsbereich „Dynamik des Ozeanbodens“. Er und sein Team versuchen die Bewegungen an mittelozeanischen Rücken, an denen neuer Meeresboden entsteht, zu simulieren. Ein weiterer Schwerpunkt sind hydrothermale Systeme, heiße Quellen, in der Tiefsee und die damit verbundenen Austritte von Fluiden, zum Beispiel an Schwarzen Rauchern. (Meeresboden-Modellierung)
Modellierung in der Meeresforschung ist ein weites Feld, es erfordert sehr detaillierte Kenntnisse in einzelnen Disziplinen, aber auch ein hohes Maß an Interdisziplinarität, um Wechselwirkungen verschiedener Komponenten zu realisieren.„In der Entwicklung komplexer Modelle stecken viele Jahre Entwicklungsarbeit, neben den naturwissenschaftlichen Zusammenhängen, ist die Programmierung der Modelle eine weitere Herausforderung Schließlich sollen sie möglichst effizient die Rechnerkapazität nutzen können“, sagt Dr. Andreas Lehmann vom Daten- und Rechenzentrum. „Dafür muss der Programmcode oft für die zur Verfügung stehende Hardware optimiert werden, hier sind dann auch Informatiker gefragt“, so Lehmann weiter. Und ohne Beobachtungen keine erfolgreichen Simulationen. „Nur wenn ein Modell auch in der Lage ist, die realen Bedingungen gut nachzubilden, kann man Vorhersagen in die Zukunft vertrauen“, so Katja Matthes. „Natürlich werden Modelle immer nur Näherungen der Wirklichkeit darstellen, aber wenn man die Grenzen und Fehler kennt, ist eine Interpretation zukünftiger Entwicklungen im Rahmen der Unsicherheiten möglich. Gemeinsam mit unseren beobachtenden Kolleginnen und Kollegen arbeiten wir ständig daran, unsere Modelle weiter zu verbessern“, sagt Prof. Dr. Matthes.