GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
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Chile gehört ganz allgemein zu den besonders von Erdbeben bedrohten Ländern. Mit etwa sechs Zentimetern pro Jahr bewegt sich der Meeresboden des Pazifiks, den in dieser Region die ozeanische Nazca-Platte bildet, auf die Küste Südamerikas zu. Etwa 50 Kilometer vor der Küste gleitet sie unter die kontinentale südamerikanische Erdplatte. Das geht nicht ohne Reibung vonstatten. Mit der Zeit bauen sich im Untergrund Spannungen auf, die sich früher oder später in Erdbeben entladen. Zahlreiche Erschütterungen in den vergangenen Jahrzehnten legen davon Zeugnis ab. Nur im Norden, in der Region um die Hafenstädte Iquique und Antofagasta, hat es seit 1877 kein schweres Erdbeben mehr gegeben. „Wir schätzen, dass die Spannungen im Untergrund dort mittlerweile für ein gewaltiges Megabeben mit einer Magnitude größer als acht ausreichen“, erklärt die Geophysikerin Heidrun Kopp vom GEOMAR. Kleinere Beben wie das aktuelle in Antofagasta reichen nicht, um diese Spannungen abzubauen.
Deshalb hat sich Professorin Kopp das Gebiete vor der Küste Nordchiles für den ersten Großeinsatz eines neuen Mess-Netzes ausgesucht. Es heißt GeoSEA und beschreitet ganz neue Wege in der Erdbebenforschung: Die Vermessung von Plattenbewegungen in der Tiefsee. „Das Problem ist, dass ausgerechnet die starken Erdbeben ihren Ursprung fast immer unter dem Meeresboden haben. Dort konnten wir die Bewegung der Platten bisher aber nicht verfolgen“, sagt Professorin Kopp.
An Land ist es heute kein Problem, die Aktivität der Plattentektonik im Millimeterbereich zu registrieren. Dafür sorgt die Satellitennavigation GPS. Doch unter Wasser haben GPS-Geräte keinen Empfang, da die elektromagnetischen Satellitensignale nichts ins Wasser eindringen können. Schall breitet sich dagegen unter Wasser hervorragend aus. Deshalb hat die Abteilung Geodynamik des GEOMAR unter Leitung von Heidrun Kopp und Dr. Dietrich Lange GeoSEA entwickelt. Der Name steht für „Geodetic Earthquake Observatory on the SEAfloor“. „Wir wollen mit diesem neuen System die Bewegungen der Platten dort über mehrere Jahre beobachten und so Informationen über die Entstehung und den Verlauf von Erdbeben sowie über daraus resultierende Tsunamis liefern“ erklärt die Projektleiterin.
Doch bevor GeoSEA dem Meeresboden vor Nordchile den Puls fühlen kann, war einiges an Vorarbeit nötig: „Wir haben uns in den vergangenen vier Jahren intensiv mit der neuen Technologie und mit der Tektonik in Nordchile befasst“, sagt Dr. Lange. Ein erster Testeinsatz von sechs GeoSEA-Tripoden im Marmarameer läuft seit 2014 erfolgreich. Das Team der SONNE-Expedition SO244/1 unter Leitung von Prof. Dr. Jan Behrmann (GEOMAR) hat schließlich im Oktober und November 2015 mit dem Autonomen Unterwasserfahrzeug AUV ABYSS präzise den Meeresboden vor Nordchile vermessen, um möglichst günstige Standorte für die GeoSEA-Geräte zu finden. Die Tripoden benötigen einen ebenen Standplatz. Der Abstand von zwei Tripoden darf nicht größer sein als eine Seemeile, damit die Abstandsmessung funktioniert, und es dürfen keine Hindernisse dazwischen sein. „Eine echte Herausforderung“, sagt Dr. Lange. Sobald das Messnetz steht, werden die Daten regelmäßig an einen autonomen Wave-Glider übertragen, der sie per Satellit ans GEOMAR weiterleitet.
Da dies der erste großflächige Einsatz von GeoSEA in der Tiefsee ist, sind alle Beteiligten äußerst gespannt auf die Ergebnisse. „Wir haben versucht, alle Eventualitäten einzuplanen, aber Arbeiten in der Tiefsee sind immer mit Überraschungen verbunden“, sagt Heidrun Kopp.
Die Erforschung von Naturgefahren in Chile hat neben den rein wissenschaftlichen und der humanitären Komponente auch einen ökonomischen Aspekt. In Nordchile liegen mit Iquique und Antofagasta zwei der weltweit wichtigsten Kupfer-Exporthäfen. „Ein starkes Erdbeben mit einem nachfolgenden Tsunami in der Region könnte den globalen Kupferhandel beeinträchtigen und alle Elektroartikel vom Handy bis zur Windturbine teurer werden lassen“, erklärt die Kieler Geophysikerin.
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