GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
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Es ist noch keine vierzig Jahre her, dass Menschen erstmals derartige „Schwarze Raucher“ in der Tiefsee zu Gesicht bekamen. Damals arbeiteten Wissenschaftler mit dem US-amerikanischen Tauchboot Alvin am Grund des Ostpazifiks und bestaunten ihre Entdeckung durch die winzigen Bullaugen der druckfesten Hülle. Heute haben vor allem autonome Tiefsee-Drohnen und kabelgesteuerte Roboter die Aufgabe übernommen, heiße Quellen in den Tiefen der Ozeane zu untersuchen. So wie das kanadische ROV ROPOS, das während der „Virtual Vents“-Expedition im Frühjahr 2016 von der FALKOR des US-amerikanischen Schmidt Ocean Institute aus zum Krater des Niua-Unterwasservulkans etwa 190 Kilometer südwestlich von Samoa abtauchte. „Das Hydrothermalfeld in dem Vulkankrater ist etwa 40.000 Quadratmeter groß. Ziel unserer Ausfahrt war es, das Feld mit neuesten Methoden präzise zu vermessen, um daraus ein 3-D-Computermodell der Formationen in bisher unbekannter Präzision zu erstellen“, erklärt Dr. Tom Kwasnitschka vom GEOMAR, wissenschaftlicher Fahrtleiter der „Virtual Vents“-Expedition.
Das Besondere an dieser Expedition: Nicht nur das neunköpfige Forscherteam an Bord konnte auf den Bildschirmen der Schiffs-Datenzentrale die Bilder verfolgen, die ROPOS aus der Tiefe lieferte. Dank modernster Satellitentechnik konnte jeder Interessierte die eingangs beschriebenen Szenen und Bilder aus der Tiefsee weltweit live im Internet verfolgen. „Das ist eine ganz andere Dimension als früher. In den Anfängen der Tiefseeforschung sahen vielleicht nur zwei Wissenschaftler in einem Tauchboot diese faszinierende Welt. Später konnte immerhin das gesamte Team die Bilder der Roboter-Kameras auf Bildschirmen an Bord verfolgen. Jetzt hat theoretisch jeder Mensch die Chance, mit uns virtuell über den Boden der Tiefsee zu schweben“, sagt Dr. Kwasnitschka.
Aber das „Virtual Vents“-Team hat noch mehr verändert. Den Blickwinkel zum Beispiel. Die winzigen Bullaugen von Tiefsee-Tauchbooten wie Alvin, aber auch bisher übliche Kameras an Robotern ermöglichen nur einen recht begrenzten Blick in eine bestimmte Richtung. Wenn man während eines ROV-Tauchgangs nach links oder rechts sehen will, muss der ROV-Pilot die Kameras oder sogar das gesamte Gerät auf Anweisung des Wissenschaftlers entsprechend drehen. Nicht so während der ROPOS-Tauchgänge zum Niua-South-Vulkan: Dafür hatte der Roboter einen eigens im GEOMAR-Technik- und Logistikzentrum gebauten Kamerarahmen mit mehreren Spezialkameras erhalten, die eine 180 Grad Sicht ermöglichten. „Mit Hilfe von Head Mounted Display Datenbrillen konnte jedes Teammitglied an Bord während der Tauchgänge in die Richtung sehen, die es interessierte – so als ob jeder selbst am Meeresboden steht“, berichtet Kwasnitschka, der sich auf Tiefseekameratechnik und Datenvisualisierung spezialisiert hat.
Doch die Spezialkameras an ROPOS dienten noch einem anderen Zweck: In einem aufwändigen Verfahren haben sie jeden Winkel des Hydrothermalfeldes vermessen. Noch an Bord errechnete ein Hochleistungscomputer aus einem Teil der über zweihunderttausend Bilder ein digitales dreidimensionales Modell der Landschaft. Im weiteren Verlauf der Expedition nutzen dann Geologen, Tiefseebiologen und Biogeochemiker an Bord diese 3-D-Karte, um gezielt Proben zu nehmen. Insgesamt war ROV ROPOS dafür 146 Stunden im Einsatz und stellte mit einem einzelnen Tauchgang von 74 Stunden einen neuen, „persönlichen“ Rekord auf. Während dieser Tauchgänge entstanden weit mehr als 100 Stunden hochaufgelöstes Filmmaterial und insgesamt zehn Terabyte Daten.
Zusätzlich zum umfangreichen wissenschaftlichen Programm stellte sich das Team an Bord immer wieder den Fragen von interessierten Menschen – ebenfalls live per Satellit. So erklärten Dr. Kwasnitschka und Dr. Kevin Köser vom GEOMAR im Rahmen der „WissenSchaffen“-Vortragsreihe am GEOMAR zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern im 15.000 Kilometer weit entfernten Hörsaal in Kiel, was sie gerade im Südwestpazifik taten. Ähnliche Vortrags-Veranstaltungen mit Live-Schaltung auf die FALKOR fanden in Münster sowie in St. Johns, Victoria und Vancouver (alle Kanada), auf Hawaii und in San Francsico (USA) statt.
Gleich nach der Rückkehr von der Fahrt begann die Aufarbeitung der Daten. Im Verlauf des Juni wird ein noch höher auflösendes 3-D-Modell des gesamten Hydrothermalfeldes errechnet, welches eine Auflösung von bis zu einem Zentimeter haben dürfte. „Die digitale 3-D-Rekonstruktionsmethode wird uns virtuelle Spaziergänge auf dem Meeresboden auch noch nach der Expedition ermöglichen. So erhalten sogar Kollegen, die nicht selbst an Bord waren, die Möglichkeit an den Untersuchungen teilzunehmen“, erklärt Dr. Tom Kwasnitschka. „Den Wissenschaftlern wie auch der breiten Öffentlichkeit bietet sich so ein Bild dieser Tiefseelandschaft in nie da gewesener Auflösung, Brillianz und Farbigkeit.“
Interessant ist das auf der Expedition erstellte 3-D-Modell vom Niua-Hydrothermalfeld auch deshalb, weil die Schwarzen Raucher das Interesse der Industrie geweckt haben. Rund um die heißen Quellen bilden sich wertvolle Erzlagerstätten, die als mögliche Rohstoffquellen diskutiert werden. „Sollten Teile des Niua-Hydrothermalfeldes irgendwann abgebaut werden, bleibt wenigstens das Modell inklusive vieler Proben für die Forschung erhalten“, sagt Tom Kwasnitschka.