GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
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Von der Insel Santorini aus war der Ausbruch schon einige Wochen zu beobachten gewesen, die Farbe des Wassers habe sich verändert, das Wasser gekocht, berichtete die Bevölkerung über die Ereignisse im Spätsommer des Jahres 1650. Rund sieben Kilometer nordöstlich der griechischen Mittelmeerinsel hatte sich ein Unterwasservulkan aus dem Meer erhoben und warf glühende Felsen aus. Flammen und Blitze waren zu sehen, Rauchfahnen verdunkelten den Himmel. Dann zog sich plötzlich das Wasser zurück, nur um kurz danach auf die Küsten zuzurasen und diese mit bis zu 20 Meter hohen Wellen zu verwüsten. Ein gewaltiger Knall war mehr als 100 Kilometer weit zu hören, Bimsstein und Asche gingen auf die umliegenden Inseln nieder, und eine tödliche Giftgaswolke forderte etliche Menschenleben.
„Diese Einzelheiten vom historischen Ausbruch des Kolumbos kennen wir, weil es zeitgenössische Berichte gibt, die im 19. Jahrhundert von einem französischen Vulkanologen zusammengetragen und veröffentlicht worden sind“, sagt Dr. Jens Karstens, mariner Geophysiker vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Wie aber ist es zu diesen verheerenden Ereignissen gekommen? Um das herauszufinden, sind er und seine Kolleg:innen 2019 in die griechische Ägäis gefahren, um den Vulkankrater mit Spezialtechnik zu untersuchen. Karstens: „Wir wollten verstehen, wie der Tsunami damals zustande gekommen ist und warum der Vulkan so heftig explodiert ist.“
Von Bord des inzwischen außer Dienst gestellten Forschungsschiffes POSEIDON erstellten sie dafür mithilfe von 3D-Seismik ein dreidimensionales Abbild des heute 18 Meter unter der Wasseroberfläche liegenden Kraters. Karstens: „Damit können wir in das Innere des Vulkans hineingucken.“ Im 3D-Modell zeigte sich nicht nur, dass der Krater einen Durchmesser von 2,5 Kilometern und eine Tiefe von 500 Metern hat, was auf eine wahrlich gewaltige Explosion schließen lässt – im Profil war auch erkennbar, dass eine Flanke des Kegels stark deformiert ist. Karstens: „Dieser Teil ist mit Sicherheit abgerutscht.“ Nun gingen die Forschenden detektivisch vor, indem sie die verschiedenen Mechanismen, die den Tsunami ausgelöst haben könnten, mit den historischen Augenzeugenberichten verglichen. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass diese nur durch eine Kombination aus einer Hangrutschung, gefolgt von der Explosion des Vulkans erklärt werden können. Ihre Ergebnisse erscheinen heute in dem Fachmagazin Nature Communications.
Die Kombination von 3D-Seismik und Computersimulation erlaubte es den Forschenden zu rekonstruieren, wie hoch die Wellen gewesen wären, wenn sie von der Explosion allein ausgelöst worden wären. Karstens: „Danach wären an einer Stelle sechs Meter hohe Wellen zu erwarten, wir wissen aber aus den Berichten der Zeitzeugen, dass sie hier 20 Meter hoch waren.“ Außerdem soll sich das Meer an einer anderen Stelle zunächst zurückgezogen haben, in der Computersimulation kommt aber zuerst ein Wellenberg an der Küste an. Die Explosion allein kann das Tsunami-Ereignis also nicht erklären. Als jedoch die Hangrutschung in das Modell mit einbezogen wurde, passten die Daten mit den historischen Beobachtungen zusammen.
Jens Karstens erklärt: „Der Kolumbo besteht aus Bimsstein. Der ist nicht sehr stabil. Während der Eruption, die ja schon einige Wochen in Gange war, ist laufend Lava ausgestoßen worden. Darunter, in der Magmakammer, in der viel Gas enthalten war, herrschte ein enormer Druck. Als dann eine Flanke des Vulkans abgerutscht ist, hatte das einen Effekt, als wenn man eine Sektflasche entkorkt: Das Gas aus dem Magmasystem konnte sich durch die plötzliche Entlastung ausdehnen, und es kam es zu der gewaltigen Explosion.“ Vergleichbares könnte beispielsweise auch bei der Eruption des Anfang 2022 ausgebrochenen Unterseevulkans Hunga Tonga geschehen sein, der ebenfalls einen Tsunami ausgelöst hat und dessen Vulkankrater eine ähnliche Form aufweist wie der des Kolumbo.
Damit liefert die Studie wertvolle Erkenntnisse für zu entwickelnde Monitoring-Programme aktiver Unterwasservulkane. „Wir hoffen, auf der Basis unserer Ergebnisse neue Ansätze für vulkanische Tsunamis entwickeln zu können“, sagt Jens Karstens, „vielleicht wird es irgendwann ein Frühwarnsystem geben. Das wäre mein Traum.“
Über marine 3D-Reflexionsseismik
Die 3D-Seismik ist eine geophysikalische Messmethode, bei der man es sich zunutze macht, dass Schallwellen an Schichtgrenzen teilweise reflektiert werden. So können Querschnittsprofile von geologischen Strukturen unterhalb des Meeresbodens erstellt werden. Bei der marinen 3D-Reflexionsseismik werden, im Gegensatz zur 2D-Reflexionsseismik zwei Signalquellen und zwei Messkabel (Empfänger) parallel hinter dem Forschungsschiff geschleppt. Das Ergebnis ist ein dreidimensionales Abbild, ein so genannter seismischer Würfel, der es erlaubt, den Untergrund im Detail, Schnitt für Schnitt zu analysieren.
Publikation:
Karstens J, Crutchley GJ, Hansteen TH et al. (2023): Cascading events during the 1650 tsunamigenic eruption of Kolumbo volcano. Nature Communications
DOI: 10.1038/s41467-023-42261-y