Für ihr Experiment setzten die Wissenschaftler:innen sogenannte KOSMOS-Mesokosmen ein (Kiel Off-Shore Mesocosms for Ocean Simulations) – große Behälter, die direkt ins Meerwasser gelassen werden und dort jeweils acht Kubikmeter Wassersäule isolieren. Foto: Michael Sswat, GEOMAR

In die Mesokosmen wurden verschiedene Konzentrationen von Natriumkarbonat und -bicarbonat eingebracht – von keiner Alkalinitätssteigerung bis hin zur Verdopplung der natürlichen Alkalinität – um die Auswirkungen auf das Zooplankton zu untersuchen. Foto: Ulf Riebesell, GEOMAR

Wie reagieren marine Nahrungsnetze auf Alkalinitätserhöhungen?

Erste Studie zeigt vielversprechende Ergebnisse

06.12.2024/Kiel. Um den Klimawandel einzudämmen, müssen die vom Menschen verursachten Kohlendioxid-Emissionen so schnell und umfassend wie möglich reduziert werden. Zusätzlich muss ein Teil des von uns bereits ausgestoßenen CO2 sicher aus der Atmosphäre entfernt werden. Ein Lösungsansatz dafür ist, die natürliche CO2-Aufnahme des Ozeans durch Alkalinitätserhöhung zu beschleunigen. Dabei wird der Prozess der Gesteinsverwitterung nachgeahmt, indem gemahlenes oder gelöstes Gestein direkt dem Meerwasser zugegeben wird. Bislang ist noch wenig über die Auswirkungen bekannt, die diese Methode auf das Leben im Meer hat. Jetzt konnte eine Studie des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zeigen, dass die Auswirkungen auf Zooplankton unter bestimmten Voraussetzungen gering wären und das Nahrungsnetz stabil bliebe. Die Ergebnisse erscheinen heute in dem Fachjournal Science Advances.

Der Ozean nimmt bereits heute ein Viertel bis ein Drittel der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen auf, doch dieser Prozess führt auch zur Versauerung des Wassers. Durch den gezielten Eintrag von bestimmten Mineralien kann die Alkalinität des Meerwassers erhöht werden. Das bedeutet, dass das Wasser dann mehr CO2 chemisch binden kann, ohne weiter zu versauern. Welche Auswirkungen eine Alkalinitätserhöhung (Ocean Alkalinity Enhancement, OAE) auf die Umwelt hätte, ist noch wenig erforscht. Wissenschaftler:innen aus der Gruppe von Professor Dr. Ulf Riebesell am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel haben nun im Rahmen des europäischen Projekts OceanNETs in einem Experiment auf Gran Canaria erstmals die Reaktion von Zooplankton und mögliche Auswirkungen auf das Nahrungsnetz untersucht. Ihre Ergebnisse erscheinen heute in der Fachzeitschrift Science Advances.

Experiment im Riesen-Reagenzglas

Die Studie hat einen Ansatz gewählt, der die Meereschemie nur geringfügig stört: die CO₂-equilibrierte Alkalinitätserhöhung – eine Form von OAE, bei der der zu bindende Kohlenstoff bereits vom alkalisierten Wasser absorbiert wurde, bevor er in die Meeresumwelt freigesetzt wird. Für ihr Experiment setzten die Wissenschaftler:innen sogenannte KOSMOS-Mesokosmen ein (Kiel Off-Shore Mesocosms for Ocean Simulations) – große Behälter, die direkt ins Meerwasser gelassen werden und dort jeweils acht Kubikmeter Wassersäule isolieren. In diese wurden verschiedene Konzentrationen von Natriumkarbonat und -hydrogenkarbonat (auch als Soda, bzw. Backpulver bekannt) eingebracht – von keiner Alkalinitätssteigerung bis hin zur Verdopplung der natürlichen Alkalinität. Über einen Zeitraum von 33 Tagen wurde untersucht, wie sich die Alkalinisierung auf das Zooplankton auswirkt, das eine zentrale Rolle im marinen Nahrungsnetz spielt. Dafür analysierten die Forschenden eine Vielzahl von Parametern wie Biomasse, Produktion, Diversität und Fettsäuren des Zooplanktons.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Planktongemeinschaften stabil blieben und das Zooplankton die moderaten chemischen Veränderungen durch die CO2-equilibrierte OAE weitgehend tolerierte. Zwar verschlechterte sich während des Experiments die Nahrungsqualität der Schwebstoffe, von denen sich das Zooplankton ernährt, doch dies schien die Konsumenten nicht zu beeinträchtigen. Die Forschenden vermuten, dass die nährstoffarmen Bedingungen im Untersuchungsgebiet – ein charakteristisches Merkmal subtropischer Gewässer – mögliche indirekte Auswirkungen der OAE auf das Zooplankton abgemildert haben könnten.

Potenzial im Klimaschutz und weiterer Forschungsbedarf

Die Alkalinitätserhöhung könnte eine bedeutende Rolle bei der Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre im Kampf gegen den Klimawandel spielen. Wenn der Ozean mehr CO2 aufnehmen kann, ohne saurer zu werden, könnte er ein noch stärkerer Puffer gegen die globale Erwärmung werden und den Weg in eine Zukunft ebnen, in der kohlenstoffintensive Industrien durch erneuerbare Energien ersetzt, die Emissionen von Industrien, die nicht dekarbonisiert werden können, neutralisiert und historische Kohlenstoffemissionen sicher entfernt und gelagert werden. Es besteht jedoch noch dringender Forschungsbedarf, um die Auswirkungen auf das gesamte marine Ökosystem zu klären.

„Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die CO2-equilibrierte Alkalinitätserhöhung das Zooplankton in dem untersuchten nährstoffarmen subtropischen Gebiet nur geringfügig beeinflusst und das Nahrungsnetz insgesamt stabil bleibt“, erklärt Erstautor Nicolás Sánchez, Doktorand am GEOMAR, „das sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie andere marine Umgebungen darauf reagieren oder wie sicher andere, technisch besser umsetzbare OAE-Ansätze sind, die größere chemische Veränderungen im Meerwasser verursachen.“

Die Wissenschaftler:innen empfehlen daher, die Methode in verschiedenen Ökosystemen weiter zu erforschen, da es keinen universellen OAE-Ansatz geben wird, der überall anwendbar ist. Die Methode müsse an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden. Sánchez: „Unsere Studie ist ein vielversprechender erster Schritt zur Definition eines verantwortungsvollen Rahmens für die Anwendung der Alkalinitätserhöhung.“

 

Originalpublikaton:

Sánchez, N., Goldenberg, S., Brüggemann, D., Taucher, J., & Riebesell, U. (2024). Plankton food web structure and productivity under Ocean Alkalinity Enhancement. Science Advances. 

https://doi.org/10.1126/sciadv.ado0264

Förderung:

Das Projekt OceanNETs (Ocean-based Negative Emission Technologies; Ozeanbasierte Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid) läuft von 2020 bis 2025 und wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union gefördert. Die Studie wurde co-finanziert von dem Helmholtz European Partnering Projekt Ocean-CDR.

Blick über und unter Wasser, zu sehen sind Folienkuppeln und ein langer transparenter Schlauch unter  Wasser

Für ihr Experiment setzten die Wissenschaftler:innen sogenannte KOSMOS-Mesokosmen ein (Kiel Off-Shore Mesocosms for Ocean Simulations) – große Behälter, die direkt ins Meerwasser gelassen werden und dort jeweils acht Kubikmeter Wassersäule isolieren. Foto: Michael Sswat, GEOMAR

Eine Reihe von Folienkuppeln an einer Pier im Wasser

In die Mesokosmen wurden verschiedene Konzentrationen von Natriumkarbonat und -bicarbonat eingebracht – von keiner Alkalinitätssteigerung bis hin zur Verdopplung der natürlichen Alkalinität – um die Auswirkungen auf das Zooplankton zu untersuchen. Foto: Ulf Riebesell, GEOMAR

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