Polare Biologische Ozeanographie

Der Arktische Ozean im Wandel

Der Arktische Ozean spielt eine Schlüsselrolle bei der Regulierung des globalen Klimas und reagiert äußerst empfindlich auf den Klimawandel. In den letzten 40 Jahren sind die Temperaturen an den Polen viermal schneller gestiegen als im globalen Durchschnitt. Gegenwärtig sind die arktischen Regionen raschen und komplexen Umweltveränderungen unterworfen, wie z. B. einer Abnahme von Meereisausdehnung und -dicke und einer verstärkten Advektion von warmem Wasser in die Arktis.

Der Verlust von Meereis löst eine Kombination von Rückkopplungsprozessen aus, die als Phänomen der „Arktischen Verstärkung“ bekannt sind. Wenn beispielsweise das Meereis im Sommer schmilzt, werden dunkle Wasserflächen frei, die mehr Sonnenwärme absorbieren, wodurch wiederum mehr Eis schmilzt.

Zu dieser „Rückkopplungsschleife“ gehören auch die Auswirkungen von schmelzendem Schnee und auftauendem Permafrost. Der Verlust des Meereises verändert die Lichtverhältnisse, die verfügbaren Nährstoffe und folglich auch die Prozesse im Nahrungsnetz und den mikrobiellen Kreislauf. Die Auswirkung der arktischen Verstärkung ist auch im Winter am stärksten ausgeprägt, jedoch gibt es aufgrund der logistischen Herausforderungen, die mit der Navigation in meereisbedeckten Gebieten verbunden sind, kaum Daten für die Polarnachtszeit. Dennoch werden Winterdaten benötigt, um ganzjährige Grundlinien zu erstellen und saisonale Zyklen zu verstehen. Wir hatten die einmalige Gelegenheit, an der MOSAiC-Feldkampagne (‚Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate‘) teilzunehmen, um Proben aus dem zentralen Arktischen Ozean in den selten beprobten Winter- und frühen Frühlingsmonaten zu gewinnen, die es uns ermöglichen, die Auswirkungen der arktischen Saisonalität auf die Struktur und das Funktionieren des mikrobiellen Ökosystems zu quantifizieren. Darüber hinaus haben wir während der Arctic Century-Expedition einen multidisziplinären Ansatz gewählt, um die schwer zugänglichen und abgelegenen Gebiete in der Kara- und Laptewsee sowie auf Franz-Josef-Land und Sewernaja Semlja in der westlichen Arktis zu untersuchen.

Das μARC-Projekt erweitert diese Bemühungen in einer größeren, kollaborativen Anstrengung, mit dem Ziel die mikrobielle Basis (Archaeen, Bakterien, Protisten einschließlich Phytoplankton und Pilze) des pelagischen arktischen Nahrungsnetzes vollständig zu charakterisieren, um zu verstehen, wie planktonische Mikroben den biogeochemischen Kreislauf organischer Stoffe regulieren und wie diese Prozesse im Laufe des saisonalen Zyklus variieren.

Unser Team untersucht sowohl die Auswirkungen kurzfristiger (z.B. saisonaler) als auch langfristiger (z.B. klimabedingter) Veränderungen der physikalischen Umwelt auf pelagische mikrobielle Ökosysteme, die unter anderem durch den verstärkten Zufluss von warmem und salzhaltigem Atlantikwasser in die Arktis – ein Phänomen, das „Atlantifizierung“ genannt wird – beeinflusst werden.

Sowohl die Atlantifizierung als auch der Verlust von Meereis werden voraussichtlich die Dynamik des Phytoplanktons beeinflussen. Da organische Stoffe, die von Phytoplankton produziert werden, die Grundlage des marinen Nahrungsnetzes bilden, könnten diese Veränderungen auch die Größe und Zusammensetzung des organischen Stoffpools und infolgedessen die biologische Kohlenstoffpumpe beeinflussen. Diese Dynamiken sind jedoch noch nicht gut verstanden.

Seit 2009 führen wir jährlich Frühjahrs-/Sommerfahrten zum LTER-Observatorium HAUSGARTEN in der Framstraße als Teil der PEBCAO-Gruppe (‚Plankton Ecology and Biogeochemistry in a Changing Arctic Ocean‘) durch, um Veränderungen im organischen Stoffkreislauf zu charakterisieren und wesentliche Veränderungen in der autotrophen und heterotrophen Produktion zu verfolgen. Wir untersuchen die Produktion von gelösten organischen Stoffen (z.B. die Freisetzung von durch Photosynthese fixiertem Kohlenstoff) und bewerten deren Qualität, indem wir die Konzentrationen von Aminosäuren und Kohlenhydraten bestimmen, die für den Konsum durch Bakterien verfügbar sind. Zusätzlich wird die bakterielle Produktion untersucht und die Bedeutung von Mikro-Gelen als Bakterienlebensräume bewertet.

Auf Basis unserer Zeitreihendaten zielt das INDIFUN-AI-Projekt darauf ab, ein Frühwarnsystem für Veränderungen der marinen planktonischen Biodiversität zu entwickeln. Zu diesem Zweck werden biochemische Indikatoren für funktionelle Veränderungen bei Primärproduzenten durch Laborinkubationsexperimente und die Analyse des langfristigen HAUSGARTEN-Datensatzes unter Verwendung der neuesten KI-gestützten statistischen Methoden bewertet.

Im Rahmen des ICEBERG-Projekts (‚Innovative Community Engagement for Building Effective Resilience and Arctic Ocean Pollution-control Governance‘) liegt der Schwerpunkt auf einem anderen Aspekt des globalen Wandels: Die Auswirkungen der anthropogenen Verschmutzung in Form von Mikroplastik auf die mikrobielle Gemeinschaft und die Biogeochemie. Durch die Analyse der Biodiversität und Funktion von plastikassoziierten Bakterien mittels 16S-Amplicon-Sequenzierung und Metatranskriptomik versuchen wir potenzielle Krankheitserreger und ihre Resistenzmechanismen gegenüber Antibiotika zu verstehen und damit die potenziellen Risiken von Mikroplastik für die Gesundheit von Mensch und Ökosystem abzuschätzen.