Die Entstehung der Ostsee
Der Ozeanograph Dr. Robert Spielhagen berichtet über die Entstehung, Geschichte und Zukunft der Ostsee
von Dr. Robert Spielhagen, GEOMAR
Weiße Sandstrände, hoch aufragende Steilufer, wunderschöne Segelreviere und ein freier Blick bis zum Horizont – das sind oft die ersten Assoziationen, die der Name unseres Heimatmeeres weckt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Ostsee aber nicht nur wegen der landschaftlichen Schönheiten interessant, sondern auch aufgrund der abwechslungsreichen Entstehungsgeschichte.
Ein geologisches Kleinkind
Geologisch gesehen ist die Ostsee ein sogenanntes Schelfmeer. Der tiefere Untergrund besteht aus ähnlichen kontinentalen Gesteinen wie der Untergrund der umgebenden Landmassen: Granite, Gneise und verschiedene Ablagerungsgesteine. Die Basis echter Ozeane, wie Atlantik, Pazifik oder Indischer Ozean, besteht dagegen aus sogenannter „ozeanischer Kruste“, also aus dunklen vulkanischen Gesteinen wie Basalt. Und während diese meist viele zig-Millionen Jahre alt sind, ist die Ostsee ein relativ junges Meer. Sie existiert erst seit ca. 8.000 Jahren. Am Höhepunkte der letzten Eiszeit vor rund 20.000 Jahren war das Gebiet der heutigen Ostsee vollständig von einem mehrere Kilometer dicken Eispanzer bedeckt. Seinen Ursprung hatte er im skandinavischen Gebirge. Von dort breiteten sich die Gletscher vor allem nach Osten und Süden aus. Dabei schürften sie das Ostsee-Becken tief aus und schoben große Mengen von Gesteinspartikeln jeglicher Größe, vom feinen Tonpartikel bis zum riesigen Findling, vor sich her. Diese völlig unsortierten Gesteinpartikel finden wir heute rund um die östliche und südliche Ostsee; sie bilden auch den Untergrund des landschaftlich so reizvollen Ostholsteinischen Hügellandes. Da damals große Mengen von Wasser als Eis auf dem Land gespeichert waren, war der Meeresspiegel weltweit etwa 130 Meter niedriger als heute: Die Nordsee wurde so zur eiszeitlichen Tundra.
Das Ende der Eiszeit - die Geburt der Ostsee
Die Geschichte der Ostsee beginnt mit dem Ende der Eiszeit. Durch das sich langsam erwärmende Klima schmolz das skandinavische Eis allmählich. Vor ca. 12.000 Jahren bildete sich so im Ostseebecken ein riesiger Schmelzwassersee. Das Eis schmolz weiter und wie eine Badewanne füllte sich das Ostsee-Becken, bis es schließlich vor etwa 10.300 Jahren in ein Katastrophen-artigen Ereignis überlief. Riesige Mengen von Süßwasser ergossen sich durch Mittelschweden direkt in den Skagerrak, während Südschweden und die dänischen Inseln über eine Landbrücke mit Schleswig-Holstein verbunden blieben. Der Seespiegel senkte sich um rund 25 Meter, bis der Süßwasserausstrom schließlich zum Stillstand kam. Durch den entstandenen mittelschwedischen Verbindungskanal konnte nun auch Salzwasser in den Ostseebereich einfließen. So existierte dort vor ca. 10.000 Jahren das „Yoldia-Meer“, das nach einer damals dort lebenden Brackwasser-Muschel benannt ist und sich bis Südfinnland erstreckte. Doch dieser frühen „Ostsee“ war nur eine kurze Zeit vergönnt. Mit dem nun auf der ganzen Nordhalbkugel rasch abschmelzenden Eis stieg zwar der weltweite Meeresspiegel, doch hob sich auch das vom Gewicht des Eises befreite Mittelschweden. Vor ca. 9.500 Jahren schloss sich die Verbindung zum Skagerrak weitgehend und es bildete sich der „Ancylus-See“, ein Süßwassersee, der zeitweise eine noch größere Fläche als die heutige Ostsee einnahm. Allein die Gebiete der heutigen dänischen, deutschen und polnischen Ostseeküsten lagen trocken und verhinderten einen südlichen Abfluss des Süßwassers zur Nordsee. Mit dem weiter steigenden weltweiten Meeresspiegel war aber auch die zweite Süßwasserphase bald vorüber. Unaufhörlich drang Salzwasser durch das Kattegatt nach Süden vor. Es schuf sich schließlich durch den Öresund sowie den Großen und Kleinen Belt drei Verbindungswege zum Ancylus-See, in den vor ca. 8.000 Jahren das Salzwasser eindringen konnte. Damit wurde die wechselvolle Süß- und Salzwasser-Geschichte dieses Schelfmeeres vorerst beendet und es entstand die Brackwasser-dominierte Ostsee, wie wir sie heute kennen.
Die Zukunft
Wie sieht die Zukunft der Ostsee aus? Die globale Klimaerwärmung wird auch hier nicht folgenlos bleiben; durch das Abschmelzen polarer Eiskappen steigt der Meeresspiegel überall. Dennoch sind entlang der Ostseeküsten weit weniger Flächen von künftigen Überschwemmungen bedroht als zum Beispiel rings um die Nordsee. Die Hügelketten der eiszeitlichen Moränen schützen fast überall das Hinterland. Nur in der Nähe der Flussmündungen von Oder, Weichsel und Memel sind größere Flächen potentiell gefährdet. In Schleswig-Holstein sind vor allem die nördliche Probstei, der Oldenburger Graben und Teile von Fehmarn bedroht. Auch wenn das beruhigend klingen mag, sollten wir uns als Verursacher des Klimawandels über die Gefahren für viele andere Küsten auf der Welt und die dort wohnenden Menschen im Klaren sein und entsprechend verantwortungsbewusst handeln. Nur dann können wir mit gutem Gewissen die Schönheit der Ostsee genießen.
Dr. Robert Spielhagen ist Wissenschaftler am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und arbeitet in der Forschungseinheit Paläo-Ozeanographie. Nach dem Studium der Geologie-Paläontologie promovierte er in Kiel. Sein Spezialgebiet sind Rekonstruktionen der Umweltbedingungen in der Arktis im Wechsel von Warm- und Kaltzeiten. Als geborener Kieler interessiert er sich aber auch für die Geschichte der Ostee.