Beispiele zu Klima-Rekonstruktionen

Die genaue Kenntnis vergangener ­Zustände des Klimas, der damit eng gekoppelten Ozeane und der Eisbedeckung der Kontinente ist die Grundlage dafür, die natürlichen Mechanismen zu verstehen, die das Ozean-Klimasystem antreiben. Diese Änderungen in der Vergangenheit erlauben es, gegenwärtige und zukünftige, durch den Menschen verursachte Änderungen in Bezug zu den natürlichen Schwankungen zu setzen. Dies ist die Motivation für die paläo-ozeanographische und paläo-­klimatische Forschung am GEOMAR, die Änderungen des Ozean-Klima-Systems auf Zeitskalen von Jahrhunderten, Jahrtausenden, oder gar Jahrmillionen rekonstruiert, mit der Gegenwart vergleicht und so Klimamodelle unterfüttert, die verlässliche Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen des Klimasystems erlauben.

Im Fokus der paläo-ozeanographischen Forschungsaktivitäten stehen insbesondere vergangene Klimazustände, die global im Jahresmittel um 1.5 Grad Celsius (wie in der sogenannten Eem-Warmzeit vor etwa 120.000 Jahren) bis 4 Grad Celsius (im Miozän vor etwa 14 Millionen Jahren) wärmer als heute waren und damit im Bereich prognostizierter menschgemachter Erwärmungs­szenarien liegen . Hier stehen insbesondere die Mecha­nismen im Zentrum des Interesses, die zu diesen Warm­­phasen führten. Dies schließt sowohl abrupte Änderungen auf Zeitskalen von Jahren bis Jahrzehnten ein, als auch Änderungen, durch die das Ozean-Klimasystem dauerhaft in einen anderen Zustand überging. Hierzu zählen beispielsweise die vielfältigen und unterschiedlichen Wechsel zwischen Warm- und Eiszeiten, die primär von zyklischen Änderungen der Erdbahnparameter und den damit einhergehenden Veränderungen der Sonneneinstrahlung auf Zeitskalen von tausenden bis hunderttausenden von Jahren angetrieben wurden.

 

Dekadische Klimadynamik in Nordpazifik und Atlantik: Ausweitung der instrumentellen Zeitserien mit Proxies

Es wird immer deutlicher, dass die Ozeane der Nordhemisphäre und ihre Ökosysteme nachhaltiger und schneller auf die globale Erwärmung reagieren als die meisten anderen Regionen der Erde. Instrumentelle Aufzeichnungen belegen dekadische bis multidekadische Veränderungen des nördlichen Nordpazifiks im 20. Jahrhundert mit erheblichen Auswirkungen auf das Klima der nördlichen Hemisphäre und die marinen Ökosysteme. Das Wissen über die längerfristige Entwicklung der natürlichen Ozeanvariabilität und Klimadynamik ist aufgrund der spärlichen instrumentellen Beobachtungen vor 1950 dagegen sehr begrenzt.

Langlebige und extrem langsam wachsende koralline Rotalgen von den Aleuten-Inseln im Nordpazifik sind ein wertvolles neues marines Klimaarchiv, das Einblicke in die dekadischen Interaktionen zwischen atmosphärischer Zirkulation und dem Nordpazifik sowie den Fernwirkungen zum Atlantik erlaubt, die deutlich weiter in die Vergangenheit zurückreichen als die instrumentellen Daten. Hierbei werden die Magnesium-Werte in den Anwachssäumen der korallinen Rotalge in hoher Auflösung gemessen und über Kalibrationen in regionale Meeresoberflächentemperaturen (SST) übersetzt. Dieser geochemische Datensatz stellt den bisher längsten jährlich aufgelösten SST Proxy-Datensatz aus dem subarktischen Nordpazifik dar (1818-1967). Die gewonnenen SST-Variationsdaten liefern erste Beweise für die Existenz eines atmosphärischen Zusammenhangs zwischen den Meeresoberflächentemperaturen des nördlichen Nordpazifiks und der multidekadischen Variabilität des Atlantiks. Diese über die instrumentellen Zeitserien hinausgehenden geochemischen Datensätze aus einem neuen, extrem langsam wachsenden Klimaarchiv bieten damit die Möglichkeit, globale Klima-Modellsimulationen in den Klima-sensitiven hohen Breiten zu validieren.

 

Warme Klimazustände in der älteren Erdgeschichte

Ungefähr 75 Prozent der letzten 500 Millionen Jahre waren durch globale Warmzeiten mit deutlich höheren atmosphärischen Kohlendioxidkonzentrationen gekennzeichnet als den heutigen. Während dieser „Treibhausphasen“ gab es keine nennenswerten polaren Eisschilde. Die heutige bipolare Vereisung ist eher ein Sonderfall in der Erdgeschichte. Das Verständnis der extremen Treibhausklimazustände ist vermehrt in den Fokus des Interesses gerückt, weil die derzeitig rasant steigenden CO2-Konzentrationen in der Erdatmosphäre maßgeblich zur menschgemachten globalen Erderwärmung beitragen (Stand 2020: 415 ppm CO2 in der Atmosphäre). Falls es nicht zu einer signifikanten Reduzierung der CO2-Emission kommt, werden am Ende dieses Jahrhunderts etwa 650 ppm erreicht sein.

Ähnlich hohe CO2-Gehalte, und damit die Möglichkeit, deren Auswirkungen auf die Ozeanzirkulation und Ozeanchemie, auf Wärme- und Feuchtigkeitsverteilung und weitere Klimafaktoren zu untersuchen, existierten nur in älteren geologischen Perioden. In der Kreidezeit, die vor ca. 142 Millionen Jahren begann und mit dem Aussterben der Dinosaurier und der Ausbreitung der Säugetiere vor 65 Millionen Jahren endete, erreichten die atmosphärischen Kohlendioxidwerte sogar 2000 ppm, die durch das Zusammenwirken von Geographie (Plattentektonik, Land-Ozean Verteilung), der Vegetation, der Niederschläge und dem Verlauf von Flüssen, Ozeanströmungen, der atmosphärischen Zirkulation und der marinen Biogeochemie erklärt werden können und zu bis zu 6°C höheren globalen Temperaturen geführt haben.

 

Tropische Warmpools: Wie entwickelten sich die Fernwärme-Heizungen der Erde?

Ausgedehnte Bereiche im Westen des tropischen Atlantiks und des Indo-Pazifiks sind durch sehr hohe Meeresoberflächentemperaturen charakterisiert, die ganzjährig höher als 28°C sind. Diese hohen Temperaturen reichen bis in mehrere hundert Meter Wassertiefe und durch die thermische Ausdehnung hebt sich der Meerespiegel um mehrere Dezimeter an. Diese sogenannten Warmpool-Gebiete waren und sind wichtige Treiber des globalen Klimas, da sie sowohl den ozeanischen als auch den atmosphärischen Wärmetransport aus den niederen in die hohen Breiten sowie den globalen hydrologischen Kreislauf nachhaltig beeinflussen. Die Ausdehnung und Intensität der Warmpools variiert von Jahr zu Jahr, einhergehend mit der El Niño–Southern Oscillation (ENSO). Sie zeigen aber in den letzten Dekaden außergewöhnliche Veränderungen, wie beispielsweise eine Zunahme der Regenfälle und tropischen Stürme, die überregionalen Einfluss haben.

Um diese Änderungen einordnen zu können, muss man wissen, wie sich diese Warmpools in der Vergangenheit im Rahmen natürlicher globaler und regionaler Prozesse verändert haben, was die steuernden Faktoren waren und wie die globalen Auswirkungen aussahen. Forschungen auf dem Manihiki Plateau im tropischen Westpazifik zeigen beispielsweise eine nachhaltige Veränderung des westpazifischen Warmpools. Ausgeprägte Temperaturgradienten in den oberen Wassermassenstockwerken bis vor ca. 1.7 Millionen Jahren weisen auf eine Lokation des westpazifischen Warmpools weiter im Osten hin. Nachfolgend erfolgte eine dauerhafte Westverschiebung, die ausgeprägte Auswirkungen auf El Niño / La Niña-Ereignisse und damit auf das tropische Klima im gesamten pazifischen Raum hatte.

 

Rekonstruktion der Niederschlags-Geschichte des Monsuns

Monatelang schwere Regenfälle und dann ein halbes Jahr Trockenheit – der Indische Monsun mit seinen jahreszeitlich wechselnden Niederschlagsmengen und Windrichtungen beeinflusst das Leben der Menschen rund um den Indischen Ozean. Er ist von entscheidender Bedeutung für die Landwirtschaft und damit die Ernährung von mehreren Milliarden Menschen. Gleichzeitig können seine Auswirkungen wie Überschwemmungen und Erdrutsche in dicht besiedelten Gebieten katastrophale Folgen haben. Doch wie funktioniert dieses so wichtige Klimasystem genau? Und wie verändert es sich, wenn sich die Atmosphäre weiter erwärmt? Zu diesem Zweck wurde der Monsunniederschlag im Indischen Ozean rekonstruiert. Dabei zeigte sich, dass Erwärmungsphasen auf der Südhalbkugel und der Feuchtigkeitstransport über den Äquator hinweg nach Norden ein wichtiger Steuermechanismus der Monsunintensität der letzten Million Jahre waren. Diese Informationen sind wichtig für realistische Klimamodelle und Vorhersagen des zukünftigen Monsuns.
mehr auf www.geomar.de

 

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