Wie man Historiker zum Sprechen bringt: Foraminiferen untersuchen – aber richtig
Anhand winziger Einzeller rekonstruieren Kieler Forscher Umweltbedingungen der Vergangenheit und dokumentieren den aktuellen Wandel.
Von Maike Nicolai, Kommunikation & Medien
Die feuchte Kälte kriecht in alle Glieder. Bis zum Knöchel versinken die Kieler Wissenschaftler im Schlamm, während sie mit klammen Fingern Proben aus dem Boden der Lagune Bottsand ziehen und die Koordinaten ihres Fundorts auf Papier kritzeln. Seit 2001 besuchen Geologen und Ozeanografen jeden November das Naturschutzgebiet bei Marina Wendtorf im Kreis Plön, bereits seit 1998 eine Salzwiese bei Schobüll nördlich von Husum - eine Initative des Instituts für Geowissenschaften an der Christian-Albrechts-Universtät zu Kiel und des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. An festgelegten Punkten im Gelände sammeln sie Foraminiferen, einzellige Organismen mit einem Gehäuse aus Kalk oder zusammengeklebten Sandkörnern. Anhand dieser mikroskopisch kleinen Lebewesen dokumentieren die Forscher Klima- und Meeresspiegeländerungen. Studenten lernen auf diesen regelmäßigen Exkursionen, Foraminiferen korrekt zu sammeln, zu konservieren und auszuzählen. Anleitungen dafür wurden vom GEOMAR mit entwickelt. Sie sollen zum internationalen Standard werden.
„Foraminiferen sind eines unserer wichtigsten Werkzeuge für Klima- dokumentationen und -rekonstruktionen“, erklärt Dr. Joachim Schönfeld, Paläo-Ozeanograph am GEOMAR. „Sie kommen in nahezu allen marinen Lebensbereichen vor, in Tiefseegräben genauso wie in den Salzwiesen. Sogar in den Poren von antarktischem Meereis sind sie schon gefunden worden. Weil viele Arten empfindlich auf bestimmte Umweltbedingungen reagieren, können wir an ihren Schalen kleinste Veränderungen ablesen. Auf diese Weise lassen sie uns weit in die Erdgeschichte zurückblicken und aktuelle Veränderungen dokumentieren.“
Vergleichbar sind die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen jedoch nur, wenn für alle Wissenschaftler einheitliche Standards gelten – so, wie es sie für die Erforschung größerer Lebewesen wie Seesterne, Muscheln oder Fische bereits gibt. Mit dem „Helgoland Experiment“ haben Joachim Schönfeld und seine Kolleginnen Elena Golikova von der Universität St. Petersburg und Silvia Spezzaferri von der Universität Fribourg bewiesen, dass unterschiedliche Methoden in der Verarbeitung der Foraminiferen-Proben zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen können. „Wenn die gesamte Sedimentprobe sofort am Fundort konserviert und eingefärbt wird, nehmen die Organismen den Farbstoff besser auf als wenn sie erst mit einem feinen Sieb durchgespült wird“, hat Dr. Schönfeld beispielsweise festgestellt. „Das hat später beim Auszählen der einzelnen Arten deutliche Auswirkungen.“ Genauso seien die Anzahl der replizierten Proben oder die Dicke der beprobten Meeresbodenoberfläche ausschlaggebend. „Sogar Zählungen, die auf verschiedenen Mengen an beprobten Sediment beruhen, wurden in der Vergangenheit miteinander verglichen. Die Artengemeinschaften sind um so reicher, je größer die Probenmenge ist.“
Mit ihrer immensen Arten- und Formenvielfalt faszinieren Foraminiferen Forscher seit Jahrhunderten. In Folge der britischen Expedition mit HMS CHALLENGER, die von 1873 bis 1876 dauerte, erstellte der Mediziner und Naturkundler Henry Bowman Bradys einen ersten Foraminiferen-Report. Seitdem interessieren sich immer mehr Wissenschaftler für die Winzlinge, die so viele Details über die Erdgeschichte berichten können. „Heute liegt ihr Vorteil klar auf der Hand“, urteilt Dr. Schönfeld: „Foraminiferen reagieren schneller als größere Organismen auf Umweltveränderungen. Sie sind in unterschiedlichsten Lebensräumen zu finden und bleiben im Meeresboden meist gut erhalten. Um ausreichend Foraminiferen für eine belastbare Aussage zu gewinnen, benötigen wir nur 50 Kubikzentimeter Sediment. Um dieselbe Aussage anhand von Muscheln zu treffen, müsste ein 50 mal größeres Feld am Meeresboden beproben. Das ist vor allem in Gebieten wichtig, die sich nur langsam von menschlichen Eingriffen erholen. Es erleichtert aber auch das Arbeiten insgesamt.“
Damit Forscher in aller Welt Foraminiferen für ihre Rekonstruktionen und die kontinuierliche Beobachtung mariner Ökosysteme nutzen können, stießen Dr. Joachim Schönfeld und 30 weitere Experten aus 13 Nationen die Initiative FOBIMO (FOraminiferal BIo-Monitoring, Biomonitoring mit Foraminiferen) an. „Einheitliche, verlässliche Methoden sind umso wichtiger, seit die Meeresstrategie der Europäischen Union mit der European Community Marine Strategy Framework Directive MSFD fordert, die Existenz mariner Ökosysteme bis 2015 zu sichern. Wie sollte man diese Ökosysteme möglichst behutsam beobachten, wenn nicht über die Analsyse von Foraminiferen-Funden?“ Vor allem junge Wissenschaftler aus aller Welt erkundigen sich beim FOBIMO-Team nach Methoden. Schönfeld: „Wir bekommen unglaublich viele Anfragen von Doktoranden aus aller Herren Länder, die sicher gehen möchten, dass ihre Untersuchungen vergleichbar und stabil sind.“
Im Naturschutzgebiet Bottsand neigen sich die Arbeiten dem Ende. Ihre Proben werden den Wissenschaftlern zeigen, wie die Foraminiferen auf das kalte, nasse Jahr reagiert haben. Auch deutliche Vorboten des Klimawandels sind an diesem unberührten Flecken Natur bereits ablesbar: „Wir konnten in den letzten Jahren beobachten, dass Foraminiferen-Arten, die in den 1960er Jahren ausschließlich in der Lagune gelebt haben, jetzt bevorzugt die angrenzende Salzwiese besiedeln. Der Meeresspiegel der Kieler Bucht ist in den letzten 50 Jahren um etwa acht Zentimeter gestiegen. Die Foraminiferen sind gleich um 20 Zentimeter höher gewandert,“ sagt Dr. Schönfeld. „Sicher ist sicher.“







