Vom wütenden Wetter zu einem Inventar globaler Klimafolgen

Petersen Exzellenz-Professur 26 | Essay von Dr. Friederike Otto

Heute liegt der globale mittlere Temperaturanstieg bei etwa 1,2 Grad. Und jeder weiß, dass wir die Emission von Treibhausgasen durch das Verbrennen fossiler Energieträger auf Netto Null zurückfahren müssen, wenn wir einen weiteren Anstieg verhindern wollen. Wir wissen auch, dass die Auswirkungen des Klimawandels jetzt schon dramatisch und teuer sind, dass die Korallenriffe vor Australiens Küste fast weg sind, dass jedes Jahr tausende Menschen in Hitzewellen sterben. Wir erwarten mehr und intensivere Hitzewellen, Starkregenfälle, und sehen, dass diese Erwartungen Realität werden. Warum brauchen wir mehr Evidenz? Warum brauchen wir Attributionsforschung?  Warum ist es wichtig zu wissen ob und wenn ja, wie sehr der Klimawandel einzelne Extremwetterereignisse beeinflusst? Weil es einen großen Unterschied zwischen Wissen und Begreifen gibt und weil wir lernen müssen, uns an die neuen Bedingungen anzupassen.

Die Attributionswissenschaft (attribution science) macht es möglich, extreme Wetterereignisse direkt mit dem vom menschengemachten Klimawandel zu verknüpfen (Otto, 2017). Bei den australischen Buschbränden zur Jahreswende 2019/2020 spielte beispielsweise Hitze eine entscheidende Rolle. Die verheerenden Brände zerstörten im Südosten des Kontinents Leben, Lebensgrundlagen und Ökosysteme und brachten Koalas auf die Liste der bedrohten Arten. Die Studien unseres World Weather Attribution Teams ergaben, dass die Hitze in Australien mindestens ein Grad niedriger und weniger als halb so wahrscheinlich gewesen wäre, wenn es den Klimawandel nicht gegeben hätte. Der Klimawandel war es auch, der die zu den Bränden führenden Wetterbedingungen um mindestens 30 Prozent wahrscheinlicher machte (van Oldenborgh et al., 2021). Ohne ihn wäre die Verwüstung durch die Brände also weniger schwerwiegend gewesen. Eine Studie, die Kernbeweisstück in einem Gerichtsverfahren der Überlebenden der Buschfeuer gegen die australische Umweltbehörde war.

Damit wird ein weiterer Aspekt der Attributionsstudien deutlich. Sie können unmittelbar auf die Verursacher zielen: Als Wissenschaftler*innen können wir diejenigen Unternehmen und Länder zur Verantwortung rufen, die am stärksten zum Klimawandel beigetragen haben. Mit unserer Arbeit haben wir die Grundlagen gelegt, um Anteile der Kohlenstoffemissionen industrieller Kohlenstoffproduzenten mit spezifischen Klimaauswirkungen zu verknüpfen. Wir erbringen Beweise und können so konkret dazu beitragen, die betreffenden Kohlenstoffproduzenten gerichtlich zu belangen. Um einen weiteren Hebel in Bewegung zu setzen, der mit dazu beträgt, dass nicht mehr nur diejenigen den Preis entrichten, die bisher immer zahlen mussten: Menschen in Entwicklungsländern, Menschen, die viel im Freien arbeiten müssen, Menschen, die sich keine Versicherung leisten können, Menschen, die nicht von Frühwarnsystemen erreicht werden. Im allgemeinen all jene also, die am wenigsten von einem verbesserten Lebensstandard in einer Gesellschaft mit fossilen Brennstoffen profitiert haben. Und natürlich auch die, die in den 1960er, 1970er, 1980er und 1990er Jahren – als man noch meinte, das Problem aussitzen zu können – noch gar nicht auf der Welt waren.

Extremwetterereignisse sind wie eine Lupe, die diese Ungleichheiten sichtbar machen. In Attributionsstudien zeigen wir die verschiedenen Ursachen der Katastrophen, die im Zusammenhang mit Extremwetterereignissen entstehen, auf:

  • Der Hunger in Madagaskar nach einer zweijährigen Dürre 2019-2021 wurde hauptsächlich von Armut, mangelnden Alternativen zur Landwirtschaft und dem kolonialem Erbe einer nichtfunktionierenden Regierung verursacht. Der Klimawandel spielte keine nennenswerte Rolle.
  • In den Überschwemmungen 2021 in Westdeutschland hat der Klimawandel die Starkregenfälle um bis zu neunmal häufiger gemacht, aber für die hohen Todeszahlen ist auch die Nichtexistenz eines funktionierenden Flutwarnsystems verantwortlich.
  • Bei den Überschwemmungen in Pakistan 2022 spielten Klimawandel, Vulnerabilität, Korruption und koloniales Erbe zusammen eine wichtige Rolle.
  • Die Hitze in London von 40°C im Sommer 2022 wäre ohne den Klimawandel nur 36°C gewesen. Dort gab es Warnungen, trotzdem starben fast 3.000 Menschen, und zwar nicht die reichen, gebildeten Londoner.

Der Klimawandel verschärft die Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Um uns an ein verändertes Klima anzupassen, müssen wir die Ungleichheit bekämpfen. Attributionsstudien bekämpfen Ungleichheit nicht, aber sie zeigen auf wie diese mit den physikalischen Auswirkungen interagieren und machen die abstrakte Theorie von „cascading risk“ greifbar (B. J. Clarke et al., 2021). Inzwischen gibt es mehr als 500 Attributionsstudien (Clarke et al., 2022). Diese sind global sehr ungleich verteilt, mit einem starker Überrepräsentation im sogenannten globalen Norden, aber sie markieren den Beginn einer globalen Übersicht dessen, was die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels tatsächlich sind (Otto et al., 2020) und bringen damit auch Evidenz dafür, was Loss and Damage ist (James et al., 2019).

► Zu dem vollständigen Essay (PDF)
► Zu den Exzellenz-Professuren

 

 

 

Prof. Dr. Friederike Otto
Position: Senior Lecturer am Grantham Institute for Climate Change and the Environment, Imperial College, London, GB
Forschungsinteresse: Attribution von Exttremwetterereignissen zu Klimawandel und Vulnerabilität